Landwirtschaft mit Ökopunkten

Herbstlicher Besuch im Nebel: Sven-Hermann Pohlmann bei seiner kleinen Rinderherde in der von seiner Firma gestalteten Weidelandschaft, die Ökopunkte für Bauherren generiert hat und jetzt extensiv bewirtschaftet wird. | Alle Fotos: Florian Schwinn

Huch, wieso kann man mit Ökopunkten Landwirtschaft betreiben? Und was sind überhaupt Ökopunkte? Und was hat das mit dem »Führerschein für Einkaufswagen« zu tun, also mit uns Verbraucherinnen und Verbraucher?

Ökopunkte sind eine Verrechnungseinheit für Schäden an der Natur, die durch Baumaßnahmen entstehen. Wer da, wo er oder sie baut, Fauna und Flora schadet oder auch nur Fläche versiegelt, muss anderswo einen Ausgleich schaffen. Dafür kann man eine Ausgleichsfläche ökologisch aufwerten, indem man dort naturnahe Biotope, also Lebensräume schafft, die zuvor nicht da waren. Oder man kauft als Ausgleich Ökopunkte, einen Punkt pro Quadratmeter. Die gehören dann zu Flächen, die andere bereits vorsorglich entwickelt haben, zu sogenannten Ökokonten.

Und auf vielen dieser Flächen entsteht dann eine extensive Form naturnaher Landwirtschaft. Das ist dann »Landwirtschaft als Naturschutz«. So habe ich das genannt, als ich hier im Podcast und im Blog einen großen Betrieb vorgestellt habe, der mit Rindern Naturschutz betreibt. Womit dann auch gleich die Frage geklärt wäre, was wir alle davon haben. Einerseits naturnahe Landschaft und damit aktiven Klimaschutz und Artenschutz, andererseits beste Lebensmittel. Das allerdings nicht für Vegetarierinnen oder Veganer.

Im Ökokontoland

Es ist ein nebliger Herbstmorgen auf dem Geestrücken Schleswig-Holsteins, also dem höhergelegenen Land zwischen den Meeren. Über uns  Bulle und Kühe mit ihren Kälbern.

Sven-Hermann Pohlmann zeigt mir seine Ökopunkte-Landschaften. Er ist der Geschäftsführer der Firma mit dem programmatischen Namen »Ecodots« im nordfriesischen Städtchen Bredstedt.

Wo wir gerade durchs nasse Gras stiefeln, war vor ein paar Jahren noch Acker, allerdings ein eher karger Acker auf sandigem Boden. Hier, in der Nähe seines Wohn- und Firmensitzes, hat Sven-Hermann Pohlmann die Flächen nicht nur ökologisch entwickelt, sondern auch selbst gekauft. Er hat die Ackerflächen verkleinert, indem er sie durch Knicks geteilt hat. Das sind die landestypischen Hecken aus Bäumen und Sträuchern, die auf Erdwällen angelegt werden.

Die Entwässerungsgräben wurden teils zugeschüttet, teils zu Teichen erweitert, in denen sich jetzt das Regenwasser sammelt und längst Frösche und Lurche angesiedelt haben, verfolgt von den Graureihern und Silberreihern.

Zwischen den Hecken ist jetzt Grünland. Damit das nicht zuwächst, sondern offen gehalten wird für all die Tiere, die das offene Land brauchen, zum Beispiel die Kiebitze, die wir aufgescheucht haben, werden die siebzehn Hektar von einer kleinen Rinderherde ganzjährig beweidet. So ist der Bauernsohn Sven-Hermann Pohlmann zum Nebenerwerbslandwirt geworden. Mit zwei Mutterkühen hat er angefangen. Inzwischen laufen auf seinen Weiden dreißig Rinder.

Hier draußen sehe ich, wie der diplomierte Immobilienwirt seine Kühe und Kälber streichelt. Beim Gespräch im Büro höre ich dann, dass er sehr gerne Bauer geworden ist, nachdem der ältere Bruder traditionsgemäß den elterlichen Hof übernommen hatte und er selbst nach dem Studium jahrelang in Büros gearbeitet hat. »Das bringt mir wahnsinnig viel Spaß«, sagt er. Das ist jetzt nicht unbedingt eine Aussage, die man von einem Bauern erwartet. Bei Sven-Hermann Pohlmann kann ich sehen, dass ihm das Spaß macht, seine Tiere zu besuchen.

Weidelandschaft mit Teich und Knicks. Im Hintergrund links eine alte Baumhecke, rechts eine der neu angelegten. Bis vor wenigen Jahren wurde auf dem kargen Boden eher schlecht als recht Ackerbau betrieben, jetzt extensive Landwirtschaft.

Extensive Landwirtschaft

Die Tiere werden gerne besucht, und sie kennen ihren Bauern gut. Das kann man sehen, wenn man mit ihm auf der Weide ist. Selbst der große Deckbulle lässt sich anfassen. »Ist ein sehr umgängliches, gutmütiges Tier«, sagt Sven-Hermann Pohlmann. Aber aus den Augen lässt er ihn dennoch nie. Gegenseitiger Respekt ist da draußen eine ganz gute Lebensversicherung. Für beide Beteiligten übrigens, denn wenn der Bulle plötzlich dann doch »komisch wird«, wie die Bauern das nennen, dann ist das meist nicht sein Triumph, sondern sein Ende. Das scheint hier nicht zu drohen. Ganz im Gegenteil.

Das gute Verhältnis zu den Tieren ist den ausgiebigen täglichen Besuchen auf der Weide geschuldet. Auch dass die Kälber im Herbst in einen Stall umziehen und ihren ersten Winter dort verbringen, führt zu mehr Nähe zu den Menschen und dann zu gelassenen, zutraulichen Weidetieren.

Die Landwirtschaft, die der Ecodots-Gründer nebenbei betreibt, ist genau die, die seinen Ökokonten guttut: die zur Naturnähe entwickelten ehemaligen Äcker oder Brachen, sollen nicht aus der Nutzung genommen werden. Dass wir die Natur nur wieder Natur sein lassen müssen, damit alles gut wird, ist eine weit verbreitete, aber für Mitteleuropa schlicht falsche Vorstellung. Wo wir nämlich heute unsere Nutztiere weiden lassen, waren auch ganz früher schon große Weidetiere unterwegs, lange bevor unsere Vorfahren die Landwirtschaft erfunden und Tiere domestiziert haben: Auerochsen, Rentiere und andere Hirsche. Und vor ihnen Elefanten und Nashörner. Die hielten die Landschaft offen und schufen die Lebensräume für all die Wildtiere, die bis heute bei uns leben.

Deshalb ist das, was wir heute extensive Landwirtschaft nennen, sehr nah an der ursprünglichen Natur, die es vor der Landwirtschaft hier gab, und deshalb auch sehr nah an der Artenvielfalt, der Biodiversität, die es hier gab, bevor die Landwirtschaft industrialisiert wurde. »Die Tiere sind eigentlich Landschaftspfleger«, sagt Sven-Hermann Pohlmann. Extensiv gehaltene Weidetiere arbeiten im Naturschutz.

Nur, was ist eigentlich extensive Landwirtschaft? »Jedenfalls was mit Tieren«, sagt Sven-Hermann Pohlmann. Natürlich müsse man das für jede Fläche einzeln beurteilen. »Aber grob kann man sagen, extensiv bedeutet: nie wieder Pflanzenschutz und nie wieder Düngung. Und eine Beweidung in der Regel vom 1. Mai bis zum 31. Oktober mit zwei Großvieheinheiten pro Hektar.«

Eine Großvieheinheit ist — wieder grob gesagt — ein ausgewachsenes Rind, Kälber bis zu einem Alter von sechs Monaten zählen nur 0,3 Großvieheinheiten, Mutterschafe und Ziegen nur 0,15. Herdenstärken für eine extensive Beweidung sind eine Rechenaufgabe. Und das mit der Düngung ist auch relativ, denn natürlich düngen die Rinder oder Schafe die Weiden auch.

Das lässt sich auf extensiven Weideflächen leicht erkennen. Das sind keine gleichmäßig kurzgefressenen und gleichmäßig grünen Grasflächen. Eine Weide ist das Gegenteil von einem englischen Rasen.

Da gibt es dunkelgrüne Stellen. Das sind die, die vor einiger Zeit einen Kuhfladen abbekommen haben. Und auch die, die sich die Weidevögel als Brutplatz aussuchen. Kiebitze scheinen zu wissen, dass die Kuh nicht so schnell wieder dahin zum Fressen kommt, wo sie zuvor hingeschissen hat. Dazwischen gibt es auch kargere Stellen auf einer extensiven Weide, die schon von weitem hellgelb und ausgezehrt aussehen. Das sind dann aber die Stellen, wo Kräuter wachsen.

Auf intensiv genutzten Weideflächen, wo die Rinder oder Schafe so lange stehen, bis alles kurzgefressen ist, gibt es diese Vielfalt nicht. Dennoch sind auch diese Weiden für das Klima und die Artenvielfalt besser als jede Mähwiese oder jeder Acker. Das habe ich hier im Blog und auch im Podcast schon mehrfach dargestellt, zum Beispiel, als es explizit um die Weidekuh ging, oder zuletzt beim Thema Waldweide.

»Auf dieser Fläche werden Ökopunkte entwickelt.« So steht es auf dem Schild, das die Flächenagentur Ecodots am Tor zu einer von Sven-Hermann Pohlmanns Weideflächen angebracht hat.

Natur oder Natur

Die 17 Hektar Weidelandschaft, durch die wir an jenem nebligen Herbstmorgen stiefeln, sind früher mal Heide gewesen. Da gab es Bauminseln und große Heideflächen, wie heute noch in einem Naturschutzgebiet ganz in der Nähe. Der Altbauer, von dem Sven-Hermann Pohlmann die damaligen Äcker vor ein paar Jahren erworben hat, erzählte ihm, dass sein Vater diese Heide überhaupt erst urbar gemacht, also in Ackerflächen verwandelt hat.

Das führt mich zu der Frage, ob es im Sinne des Naturschutzes oder der Ursprünglichkeit dann nicht vielleicht besser gewesen wäre, dort wieder Heide zu etablieren? Da stoßen wir wohl an die Grenzen des Systems der Ökokonten und Ökopunkte. Denn auch die Heide ist im Grunde eine Weidelandschaft, nur dass sie nicht ständig beweidet werden kann und auch nicht unbedingt mit heutigen Rinderrassen, so robust und geländegängig die auch sein mögen. Die werden da nicht satt.

Um die Heide auf Dauer Heide sein zu lassen, braucht es Wanderschäfer mit Heidschnucken. Diese Schafe können sich von der kargen Kost ernähren, sie halten die aufwachsenden Birken klein, und sie schaffen dem Heidekraut die nötige Verjüngung, ohne die es verholzt und abstirbt. Auch die Heide ist nämlich, wie das Gras, in Koevolution mit Weidetieren entstanden.

Nur – wer will noch Wanderschäfer sein? Und wer bezahlt den Wanderschäfer, der vom Fleisch seiner Heidschnucken nicht leben kann, falls das dann doch jemand machen möchte? Selbst in bezuschussten Biosphärenreservaten und der weltberühmten Lüneburger Heide ist das ein Problem.

In Ökopunkt-Landschaften, also auf Flächen, die Ökokonten geworden sind, gibt es keine Zuschüsse. Wenn die Punkte verkauft sind, muss sich die Bewirtschaftung selbst tragen. Und das für immer, oder wenigstens für die nächsten dreißig Jahre. Keine gute Zukunft für die Wiederbelebung alter Heideflächen.

Naturschutz oder Heide

Auch in einem anderen Projektgebiet ist es der Firma Ecodots nicht gelungen, die Heide wiederzubeleben, obwohl sie dort ganz von selbst neu aufwuchs.

Es war nach den Orkanen Christian und Xaver, die 2013 im Norden Deutschlands große Waldflächen umwarfen. Vor allem die alles andere als naturnahen Fichtenforste überlebten die Stürme nicht. Ecodots bekam damals en Auftrag, eine solche Fläche zum Ökokonto zu entwickeln. Dreißig Hektar umgeworfene und abgeknickte Fichten mussten abgeräumt und die Fläche sollte dann neu bepflanzt werden.

Die Besonderheit hier: Der Forst hatte die Fläche aufgegeben. Dorst sollte nicht wieder ein Holzacker hin, der dem längst begonnenen Klimawandel eh nicht entgegenzusetzen hätte. Aber es sollte dennoch aufgeforstet werden. Dieses Mal nur mit einem sogenannten »Naturwald«.

Das ist ein Wald, der sich selbst entwickeln soll und irgendwann keine Pflege mehr braucht, wo also nicht mehr geläutert, also ausgelichtet werden muss, aber auch kein Holz mehr geerntet wird.

Was dort an natürlichem Aufwuchs stattfand, die Heide nämlich, die unter dem Holzacker überlebt hatte, passte nicht ins Konzept. Zwar musste Ecodots nicht die üblichen vier- bis fünftausend Bäume pro Hektar pflanzen, aber die Fläche sollte dennoch zu sechzig Prozent »bestockt« werden. »Wir durften das mit nur rund tausend Bäumen machen. Der Rest durften Büsche sein.« Auch die nahmen aber natürlich der Heide den Platz und das Licht. Und wenn dann die Bäume groß sind, werden auch die Büsche durch Schatten dezimiert.

Zu allem Überfluss musste das Ganze die ersten Jahre eingezäunt werden, damit bloß kein Wild hineinkonnte, um der Heide dann vielleicht doch noch ein wenig Platz zu fressen.

So sieht das aus, wenn Naturschutz nicht in und mit der Natur, sondern in Behördenstuben geplant wird.

Projektleiter Torge Boysen in der Maschinenhalle von Ecodots. Um einen Mann mit diesen Traktor draußen im Gelände an die Arbeit zu bruingen, brauchtz er zwei Menschen im Büro, die sich um die Bürokratie kümmern.

Bürokratieaufbau

Womit wir beim Thema Bürokratie angelangt wären. Und das ist ein großes auch für Flächenagenturen wie Ecodots und für die extensive Landwirtschaft.

Mit dem stetig anschwellenden Gerede über den Bürokratieabbau wächst wie zum Tort die Bürokratie selbst. »Ich bin jetzt seit drei Jahren in der Firma«, sagt Torge Boysen, »und seit drei Jahren registriere ich, wie von Antrag zu Antrag immer mehr Bürokratie hinzukommt.«Es sei erschreckend sagt der Projektleiter und rechnet vor: Als er anfing bei Ecodots war ungefähr eine Dreiviertel Arbeitskraft im Büro nötig, um einen Mann oder eine Frau draußen in Arbeit zu halten. Inzwischen braucht es anderthalb bis zwei Arbeitskräfte im Büro, um genügend Projekte genehmigt zu bekommen, die einen draußen auf dem Traktor oder Bagger oder beim Pflanzen und Säen zu beschäftigen.

Wie und vor allem wann eine Fläche tatsächlich in ein Ökokonto umgewandelt werden kann, dass dann für zukünftige Bauherren Ökopunkte bereithält, also im Sinne des Naturschutzes aufgewertet wird, das entscheidet letztlich die Untere Naturschutzbehörde beim jeweiligen Landkreis. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmen, ob ein Ökopunkte-Projekt umgesetzt werden kann. Sie sind in die Planung eingebunden und bekommen dann, wenn alle Vorarbeiten erledigt sind, das Projekt als Antrag zur Genehmigung vorgelegt.

Wenn dann die Genehmigung da ist, was noch einmal mindestens drei Monate dauert, oder auch ein Jahr oder anderthalb Jahre, je nach Landkreis und Behörde — dann geht es auch nicht unbedingt gleich los mit der Umsetzung. »Wir haben in vielen Regionen zeitlich starke Restriktionen«, sagt Torge Boysen. Gepflanzt werden darf letztlich nur zwischen Mitte oder Ende Oktober und Mitte oder Ende Mai.

Nichts geht schnell

Wir merken schon: Wer extensive Landwirtschaftsflächen nach Ökopunkte-Verordnung umsetzen will, braucht einen langen Atem.

Dazu kommt, dass die Firma Ecodots noch lange nicht fertig ist mit einem Projekt, wenn es der Unteren Naturschutzbehörde als fertig gemeldet wurde und die das akzeptiert hat. Auch wenn alle Ökopunkte verkauft sind, die eine in Sachen Naturschutz entwickelte Fläche produziert hat, bleibt die Flächenagentur verantwortlich. Sie muss garantieren, dass sich die Fläche auch wirklich so entwickelt, wie das geplant ist, und dass sie von den Pächtern oder Eigentümern auch tatsächlich so bewirtschaftet wird, wie das vorgesehen ist.

Deswegen hat Sven-Hermann Pohlmann eine Mitarbeiterin ein gestellt, »die nichts anderes tut, als alle Flächen, die wir entwickelt haben in den letzten 16 Jahren, anzufahren und zu schauen, ob die Bewirtschaftung so eingehalten wird, wie sie uns in der Genehmigung des Ökokontos auferlegt worden ist.«

Nebenbei achtet diese Mitarbeiterin auch darauf, ob die von ihr kontrollierten Flächen vielleicht noch weiterentwickelt werden könnten. Am Anfang, als Ecodots vor sechzehn Jahren startete, hatten weder die Biologen im eigenen Haus, noch die Unteren Naturschutzbehörden der Landkreise das Thema Hecken im Blick. »Da waren Knicks noch überhaupt kein Thema«, sagt Sven Hermann Pohlmann. Der Wert von Hecken in der Landschaft als Hort der Biodiversität und als Schutz vor Erosion, wurde da noch nicht diskutiert.

Jetzt entwickelt Ecodots manche Fläche mit Heckenpflanzungen weiter. Wobei — Vorsicht Bürokratie — ein Knick ist eine Hecke, also Gehölz. Und Gehölz fällt nicht unter die Ökopunkte-Verordnung, sondern unter das Landesforstgesetz.  Wenn für eine Baumaßnahme Bäume gefällt werden, dann müssen anderswo Bäume gepflanzt werden.

Und wenn jetzt Bäume gepflanzt werden auf einer Ökokonto-Fläche, dann wird eben diese Fläche um genau diese Hecke verkleinert. »Dann muss ich dafür Ökopunkte zurückgeben«, sagt Sven-Hermann Pohlmann. Und warum macht er dann so etwas? »Weil’s besser ist für die Natur«, sagt er. Und vielleicht braucht ja auch gerade jemand eine Baumpflanzung, weil bei einer Baumaßnahme anderswo Bäume gefällt werden.

Auch so kann ein Ökokonto aussehen: Eine neu angelegte Streuobstwiese, wobei das Wort Wiese nicht ganz passt, denn hier weiden Schafe.

Es geht noch weiter mit den Unterschieden von Ökokonto und Forstgesetzen. Die in den meisten Bundesländern geltenden Ökopunkte-Verordnungen lassen zu, dass zusammenhängende Flächen in größerem Stil entwickelt und in extensive Nutzung gegeben werden. Die Landesforstgesetze sind nicht so vorausschauend, obwohl man das gerade beim Forst, der ja lange planen muss, erwarten dürfte. Aufforstungen oder Heckenpflanzungen werden als Ausgleichsmaßnahmen erst dann zugelassen, wenn tatsächlich anderswo gefällt wird.

Obwohl — es tut sich was, selbst da. Zumindest in einem Bundesland. Bis vor einem Jahr durfte in Schleswig-Holstein, wie in wohl allen Bundesländern, nur dann ein Baum als Ersatz nachgepflanzt werden, wenn anderswo gerade einer gefällt werden sollte. »Dann hatten wir die Chance auf einem großen Gutshof in Ostholstein, eine Allee mit zweihundert Bäumen zu bepflanzen.« Das aber sollte natürlich in einem Rutsch geschehen, damit die Bäume gleichzeitig aufwachsen konnten und eine geschlossene Baumallee bilden.

In diesem Fall hat sich die Forstbehörde dann überzeugen lassen, dass die Alleebäume in eine Art Pool gegeben werden konnten, der dann Baum für Baum abgerufen wird, wenn Ersatzpflanzungen gebraucht werden. Inzwischen scheint das Beispiel Schule zu machen und auch anderswo im Land dürfen jetzt Baumpools angepflanzt werden. Man könnte meinen, die Forstbehörden hätten vom Naturschutz und seinen Ökokonten gelernt.

Wobei – gleichzeitig überziehen eben jene Behörden die Baumpflanzer mit neuen Kontrollen. Weil sich wohl einige oder auch nur einer der Heckenpflanzer nicht an die Verpflichtungen gehalten hat und Knicks nicht ordentlich gepflegt wurden, müssen nun alle ein Jahr warten, oder in manchen Landkreisen auch drei Jahre, bis ein Knick fertig gemeldet werden darf und Ersatzpflanzung vermarktet werden kann.

»Für uns ist das eine Katastrophe«, sagt Sven-Hermann Pohlmann. Ecodots pflanzt im Jahr schon mal dreißig Kilometer Knicks, was siebenstellige Summen vertilgt. Und nun sollen noch einmal bis zu drei Jahre ins Land gehen, bis das verrechnet werden kann. »Dann ist das irgendwann nicht mehr finanzierbar für uns.«

Hatte jemand etwas von Bürokratieabbau erzählt?

In der Realität geschieht das Gegenteil. Da haben einzelne Entwickler von Ausgleichsmaßnahmen geschlampt und die von ihnen gepflanzten Hecken nicht ordentlich gepflegt. Als Reaktion überzieht die Behörde dann alle anderen auch mit generellem staatlichem Misstrauen und einer zusätzlichen Maßnahme. Diese Form des Kontrollwahns kann den Umbau der Landschaft in Richtung Naturnähe dann schlicht unfinanzierbar oder zumindest unattraktiv machen.

Ewigkeit

Auch ohne die besonderen und immer neuen Herausforderungen der Bürokratie muss eine Flächenagentur wie Ecodots immense finanzielle Rückstellungen anlegen, denn die Verantwortung für die extensiven Landwirtschaftsflächen, die sie entstehen lässt, endet eben nicht, wenn ein Projekt fertig gestellt ist.

Die Fertigstellung ist nur der erste Schritt auf einer langen Wegstrecke, die vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Flächenagentur liegen, egal ob es eine private Firma ist, wie im Falle Ecodots, die eine Fläche entwickelt, oder eine staatliche GmbH, wie in den meisten Bundesländern.

Eine nach Ökokonto-Verordnung dem Naturschutz zugeschlagene Ausgleichsfläche, bleibt auf immer eine Naturschutzfläche, also möglichst immer auch in extensiver Bewirtschaftung. Das gilt auch, wenn der Grund für den Flächenausgleich längst nicht mehr existiert, die Straße längst weggerissen ist, das Gewerbegebiet zurückgebaut wurde, das Windrad abgerissen. Die Ausgleichsfläche bleibt.

Und eigentlich bleibt sie, so lange sie existiert, auch in der Verantwortung ihrer Entwickler. Deshalb die Mitarbeiterin, die jede Fläche, die Ecodots in den vergangenen sechszehn Jahren entwickelt hat, mindestens einmal im Jahr besucht, um nach dem Rechten zu schauen.

»Da sich die Ewigkeit mathematisch schlecht abbilden lässt«, sagt Sven-Hermann Pohlmann, haben sie die Flächenagenturen in ihrem bundesweit organisierten Verband darauf geeinigt, dass sie sich mindestens fünfundzwanzig, meistens dreißig Jahre lang kümmern. » Irgendwann«, hofft er, »wird es auch alles so weit entwickelt sein, dass es vielleicht nicht mehr notwendig ist, sich zu kümmern.«

Aber wann soll das wohl sein, dass man sich nicht mehr kümmern muss? In einer Landschaft, die wir Menschen komplett überformt haben, wo es die ursprüngliche Natur schon deshalb nicht mehr geben kann, weil wir deren natürliche Pflegekräfte ausgerottet oder vertrieben haben: die Auerochsen, die Wisente, die in die Hunderttausende zählenden Rentierherden.

Dieses Bullenkalb musste mit der Flasche aufgezogen werden, nachdem die Mutter ausgefallen war. Das hat es besonders anhänglich werden lassen, so dass es seinen Bauern jetzt immer persönlich begrüßt.

Weideschuss

Auch auf den Weiden, die der Nebenerwerbslandwirt Sven-Hermann Pohlmann extensiv bewirtschaftet, ist stetiges Kümmern angesagt. Und der nächste Entwicklungsschritt: Die zwei Rinder, die aus seinen zwei kleinen Herden jedes Jahr »entnommen« werden, wie das Torge Boysen nennt, der neben der Projektleitung bei Ecodots noch Jäger ist, diese beiden Rinder sollen in Zukunft nicht mehr zum Schlachter gefahren werden. Sie sollen am Ende ihres bis dahin geruhsamen Lebens nicht noch unnötig Stress haben.

Das Rezept gegen den Lebendtransport von Tieren ist der Weideschuss. Um den durchführen zu dürfen hat Torge Boysen in Niedersachsen einen Lehrgang gemacht und eine erste theoretische Prüfung abgelegt. »Das war wie beim Jagdschein«, sagt er: Viel Stoff und am Ende eine mündliche Prüfung vor einer dreiköpfigen Prüfungskommission.

Wie das in der Praxis dann ablaufen kann, haben sich Sven-Herrmann Pohlmann und Torge Boysen quasi in der Nachbarschaft angeschaut: auf der Ostseeseite Schleswig-Holsteins. Sie waren bei Bunde Wischen, einem Biolandbetrieb, den ich hier im Podcast und im Blog auch schon vorgestellt habe. In der schon erwähnten Episode »Landwirtschaft als Naturschutz« geht es auch um den Schuss auf der Weide, der dort meist von Gerd Kämmer ausgeführt wird, dem Geschäftsführer der Genossenschaft Bunde Wischen.

»Wir waren ganz erstaunt über die Ruhe und die Professionalität, mit der das dort geschieht«, sagt Torge Boysen. Obwohl er das kennt, wenn es bei der Jagd sehr gut klappt, war er eben doch erstaunt, dass das beim Weideschuss auch so ist. »Der Schuss wird ausgeführt, das Tier sackt in sich zusammen und ist sofort aus dem Leben genommen.« Und die anderen Tiere, die danebenstehen, verstehen offensichtlich nicht, was da gerade passiert ist. Sie zeigen keine Reaktion. » Und wenn man das dann mit dem Schlachthof vergleicht, was für eine Unruhe alleine schon beim Verladen ist, wenn es zum Schlachthof geht — das sind Welten!«

Fleischmarkt

Torge Boysen hat den Jagdschein. Er darf sein Gewehr führen und auch benutzen. Er ist ein passionierter Jäger. Das sagt er von sich selbst. Er darf nicht nur schießen, er kann auch treffen. Er dürfte einen Hirsch auf der Weide schießen, aber noch lange nicht das Rind, das danebensteht. Selbst, wenn er jetzt zusätzlich zum Jagdschein auch noch den Lehrgang für den Weideschuss absolviert hat.

Den nämlich muss das zuständige Veterinäramt genehmigen. Und das hat das im Landkreis Nordfriesland, wo Sven-Hermann Pohlmann seine Rinder weiden lässt, lange Zeit nicht getan. Nun aber ist der alte Amtsleiter in Pension gegangen und der Nachfolger hat offenbar kein Problem mit dem Schuss auf der Weide. Im Nachbarlandkreis, wo Bunde Wischen seine Tiere weidet, war das nie ein Problem, jetzt wohl auch in Nordfriesland nicht mehr. Fehlt aber noch die Genehmigung für den Schuss auf der Weide von der zuständigen Waffenbehörde. Dann noch die praktische Prüfung vor Ort. Und schon kann es losgehen.

Nein, nicht ganz. Ein vom Veterinäramt abgenommener hygienisch dichter Anhänger muss noch sein, um das geschossene Tier innerhalb einer Stunde nach dem Schuss zu einem Schlachter zu fahren.

Und am Ende haben einige von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern das beste Rindfleisch auf dem Tisch, das man sich denken kann. Von einem Tier, das ein gutes Leben hatte, immer draußen war, sich sein Futter selbst suchen durfte, und das auch am Schluss keinen Stress hatte.

Nein, so ist es nicht. Nicht im Falle von Ecodots und Sven-Hermann Pohlmanns kleiner Rinderherde. Das Fleisch, was die zwei Tiere liefern, die da »entnommen« werden, wie es der Jäger sagt, das ist sofort vergriffen.

Wer also probieren möchte, wie der Unterschied schmeckt, wenn es keinen Lebendtransport der Tiere zum Schlachthof gegeben hat, muss sich andere Quellen suchen. Die gibt es, nicht nur im Norden.

In Süddeutschland berühmt geworden ist der Pionier Ernst Hermann Maier, der in jahrelangem Kampf mit den Behörden durchgesetzt hat, dass seine Rinder auf der Weide geschossen werden dürfen und auch keine Ohrmarken tragen müssen. In Thüringen gibt es einen Verein, der den Weideschuss voranbringen will. Zum Beispiel in Essen gibt es einen Betrieb, der sich auf Weideschlachtung spezialisiert hat. Und so weiter. Es lässt sich finden, auch wenn das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft bedauert: »Bislang gibt es noch kein offizielles anerkanntes Label, das Fleisch aus Weideschlachtung oder hofnaher Schlachtung kennzeichnet.« Unter dem Stichwort Weideschuss lassen sich im Netz aber einige Betriebe finden, die ihr Fleisch zum Teil auch über den Hofladen verschicken.