Alles Essen!

Rübenblattsalat mit Radieschen und Birne. Rübenblattsalat? Was ist das denn? Das ist ein wohlschmeckendes Ergebnis des kulinariuschen Versuchs, die Lebensmittelabfälle deutlich zu reduzieren. | Foto: Mani Bakhshpour

Weltweit landet ein Drittel der Lebensmittel im Müll. In Deutschland sind es nach einer Studie des bundeseigenen Thünen-Instituts zwölf Millionen Tonnen jährlich. Das meiste davon wird in den Privathaushalten weggeworfen: 52 Prozent, 75 Kilogramm pro Person. Abgesehen von der ungleichen Verteilung der Lebensmittel, die jederzeit für Hunger in den ärmeren Teilen der Welt sorgt, könnten wir auch mit einem Drittel weniger Produktion noch gut leben. Wenn wir die Verschwendung beenden würden. Und bei diesen ganzen erschreckenden Zahlen ist all das noch nicht einmal mitgerechnet, was für uns gewissermaßen „geborener“ Abfall ist: Was am Gemüse weggeschnitten wird, oder auch am geschlachteten Tier.

Und um genau das soll es hier jetzt gehen: Um das, was wir wegwerfen, obwohl wir es auch essen könnten. Zum Teil halten wir es nur für Abfall, weil wir nicht wissen, was wir damit alles anfangen könnten. Zum Teil ist das Wissen darüber auch nur verloren gegangen. Mit unseren Großeltern und Urgroßeltern ins Grab gewandert, von Fast-Food untergepflügt. Das zu ändern sind schon vor längerer Zeit Köche aufgebrochen und haben zuerst gefordert, die ganzen Tiere zu essen, also die Schlachtabfälle zu reduzieren. Dann kamen sie auf die Idee, diese Forderung auch aufs Gemüse auszuweiten.

Nose to Tail

Vor Kurzem habe ich in dieser Kolumne angekündigt, mich noch einmal um diesen besonderen Weg zu kümmern, der Lebensmittelverschwendung Einhalt zu gebieten. Einfach alles essen und möglichst nichts übriglassen ist die genial einfache Idee, die seit einiger Zeit mit hippen Begriffen belegt wird.

Angefangen hat es damit, dass der britische Starkoch Fergus Henderson 1999 sein erstes Buch zur Komplettverwertung von Tieren herausbrachte. Wobei, vielleicht war er damals noch kein Starkoch und wurde das erst durch dieses Buch: Nose to Tail Eating: A Kind of British Cooking. Abgesehen davon, dass uns Festlandeuropäer „A Kind of British Cooking” womöglich eher abschreckt, hat das Buch sich durchgesetzt. Eine erweiterte Auflage erschien bei Bloomsbury 2012, die deutsche Übersetzung beim Schweizer Echtzeit Verlag 2014.

Leaf to Root

Und natürlich kam dann auch alsbald die Entsprechung fürs Gemüse. Weil der Titel beim Tier ein englischer war, musste es der fürs Gemüse natürlich auch sein: Leaf to Root. Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel. Diesmal ist das Original eine deutsch-schweizerische Zusammenarbeit von einem Team aus Journalistin, Fotograf und Koch.

Fergus Henderson stellt auf der Rückseite des Buches seine Philosophie vor, indem er uns sagt, „dass es dem Tier gegenüber unanständig wäre, es nicht von Kopf bis Fuß zu verwerten; es hält auch jenseits des Filets etliche nahrhafte Leckerbissen und Gaumenfreuden für uns bereit.“ Und Esther Kern, Sylvan Müller und Pascal Haag fragen uns: „Warum essen wir Karottengrün nicht? Wieso ist die Schale der Wassermelone in den USA eine klassische Zutat, während sie in Europa im Abfall landet? Weshalb gilt Tomatengrün als giftig, wird aber von Köchen trotzdem verarbeitet?“

Und wenn einige von uns jetzt ein wenig zurückzucken: Wie, soll ich etwa Innereien essen? Wie, Tomatengrün ist aber doch giftig – Nachtschattengewächs! Dann hat Fergus Henderson einen Tipp: „Haben Sie keine Angst vor dem Kochen – die Zutaten würden das merken und sich entsprechend danebenbenehmen.“

Nochmal Radieschen im Salat, diesmal aber mitsamt der Blätter, die normalerweise bestenfalls im Kompost landen. Doppelseite aus dem Kochbuch “Leaf to Root”. | Foto. Florian Schwinn

Trend

Auf das Thema aufmerksam geworden bin ich vor vielen Jahren beim Lesen. Das Buch war Tierisch gut. Darin beschrieb der inzwischen verstorbene Gründer der Hermannsdorfer Landwerkstätten, Karl Ludwig Schweisfurth, wie er auf Besuch in den USA zum Steakessen eingeladen war. Und dann aß er all das mit, was die Gastgeber wegschnitten und beiseitelegten. Dem armen Deutschen von Übersee wurde dann bedeutet, dass man das hier in den USA nicht mitessen müsse. Es gäbe genug Steaks als Nachschub. Der Mann hat Herta-Wurst, die größte Wurstfabrik Europas, verkauft, um das Geld in eine tiergerechte Haltung von Nutztieren zu investieren und zu zeigen, dass so etwas funktioniert. Er sagte damals: Ich habe einen Vertrag mit den Tieren. Es soll von ihnen nichts umkommen.

Wieder begegnet ist mir das Thema dann immer wieder. Zuerst, als es um unsere Haltung zu den Tieren ging, die wir halten, um Lebensmittel zu erzeugen. Zuletzt, als es um die Betriebe ging, die sich wirklich um das Tierwohl verdient machen.

Die regionale Biomarktkette Landwege in Lübeck hat den ihr genossenschaftlich angeschlossenen Höfen versprochen, die ganzen Tiere abzunehmen und zu vermarkten. Also musste sich der Biomarkt eine eigene Großküche zulegen, in der jetzt auch Knochen ausgekocht und Brühen eingekocht werden. Der Biolandbetrieb Bunde Wischen, der mit Landwirtschaft Naturschutz betreibt, hat von Anfang an versucht, alles von den geschlachteten Tieren zu vermarkten. Und das ist inzwischen auch gelungen. Der Care-Caterer Procuratio kauft Produkte aus nachhaltiger Landwirtschaft und bindet sie in seine Großküchen für Krankenhäuser und Altenheime ein. Indem er Nose to Tail und Leaf to Root Rezepte entwickelt, kann er dem Kostendruck standhalten. Die größere Verwertungstiefe macht es möglich, bessere Lebensmittelqualität einzukaufen.

In der Küche: Mani Bakhshpour, Filmemacher und Großküchenberater bringt auch Verbraucherinnen und Verbrauchern bei, das bislang ungenutzte ins tägliche Kochen zu integrieren. | Foto: privat

Rezepte

An dieser Stelle kommt Mani Bakhshpour ins Spiel. Der gebürtige Iraner ist eigentlich Filmemacher, seit Jahren aber schon unterwegs in der Food-Szene. Ebenfalls schon länger gibt er Kochkurse. Wobei er selbst dann, wenn es um mediterrane Küche geht, Zutaten aus Deutschland verwendet, also die Regionalität hochhält.

Angefangen hat das, weil er mehrere Filme übers Essen, über Lebensmittel, über Küche, Köche und Kochen gemacht hat. Dann wurde er selbst zum Koch. Und nun zum Berater von Unternehmen, die ihre Kantine nachhaltiger ausrichten wollen, oder von Caterern wie Procuratio, die mehr Nachhaltigkeit in die Außer-Haus-Verpflegung bringen wollen.

Ihn habe ich gebeten, uns ein paar seiner Rezepte zur Verfügung zu stellen, die einerseits eher ungewöhnliche Teile vom Tier verwenden, und andererseits alles vom Gemüse. So kam es zu der kleinen Auswahl von Rezepten, die hier folgt.

Viel Spaß beim Kochen und Guten Appetit!


Secreto

Das Secreto vom Schwein heißt auf Deutsch auch Geheimes Filet. Dabei handelt es sich um ein Muskelstück, das sich im Bereich zwischen Rücken und Lendenspeck befindet. Es ist grobfaserig und erinnert von der Form her an einen Fächer. Wenn das Schwein draußen gelebt hat und möglichst einer robusten Rasse angehörte, ist das Secreto von feinen Fettäderchen durchzogen, die für eine intensive Marmorierung sorgen. Das verspricht ein intensives Geschmackserlebnis. Von außen wirkt das Secreto wie ein Stück Fett. Auch deshalb landet es oft im Schlachtabfall. Wenn man allerdings längs durch das Fleisch schneidet, sieht man die feine Marmorierung. Deshalb Secreto.

Dass das eigentlich ein Gourmet-Stück ist, bedeutet noch nicht, dass die Metzger das auch wertschätzen und anbieten. Also fragen, falls man noch einen richtigen Schlachter in der Nähe hat. Wenn er jemanden kennt, der es haben möchte, landet es beim nächsten Mal vielleicht nicht im Schlachtabfall. Es gibt allerdings auch eine Secreto-Gemeinde. Grillfans kennen das Stück und man kann es auch im Netz bestellen. Aber das war ja eigentlich nicht die Idee der Nachhaltigkeit.

Fergus Hendersons Kultbuch “Nose to Tail” ist keines der üblichen Kochbücher. Ja, es gibt Rezepte und auch Food-Fotos. Daneben aber läuft der Koch schon mal mit Hund und Zigarre durchs Gelände und empfiehlt “Scharfe Nierchen mit Black Velvet” als “perfektes Geburtstagsfrühstück”. | Foto: Florian Schwinn

Secreto vom Eichelschwein mit Bio-Kartoffelstampf und Bio-Kartoffelschalenchips, dazu zwei verschiedene Tsatsiki

Zutaten für 4 Personen:

700 g Secreto
1 Knoblauchzehe
1 Zweig Rosmarin
2 EL Rapsöl und Öl zum Braten
700 g Kartoffeln
40 g Butter
100 ml Milch
Salz

Secreto

Das Secreto auf Zimmertemperatur bringen. Rosmarin hacken und das Secreto damit und mit dem Öl einreiben. Knoblauchzehe halbieren und beiseitelegen. Eine schwere Pfanne erhitzen, etwas Öl hineingeben und das Secreto etwa drei bis vier Minuten auf jeder Seite anbraten. Dabei aufpassen, dass es nicht verbrennt. Die Knoblauchzehe dazu geben und das Secreto noch vier Minuten im Öl schwenken.

Das Secreto aus der Pfanne nehmen und auf einem warmen Teller fünf Minuten ruhen lassen und dann mit Stampf, den Chips und Zaziki servieren.

Gutes, frisches Secreto kann man medium essen.

Bio-Kartoffelschalenchips

Bei den Kartoffeln darauf achten, dass sie Bio sind und dass sie nicht grün sind oder Sprossen gebildet haben, sonst kann man die Schale nicht mitessen.

Den Backofen auf 190 Grad vorheizen.

Die Kartoffeln gut waschen und schälen. Die Schalen in eine Schüssel geben und gut mit Öl und Salz mischen.

Das Backblech mit Backpapier auslegen und die Schalen darauf verteilen.

So lange backen, bis sie knusprig sind.

Kartoffelstampf

Butter und Milch auf Zimmertemperatur bringen. Die geschälten Kartoffeln in Stücke schneiden und in einen Topf geben.

Mit Wasser füllen, so dass die Kartoffeln gerade bedeckt sind. Das Wasser salzen und die Kartoffeln weichkochen. Etwas abkühlen lassen und mit einem Kartoffelstampfer im Topf zerstampfen.

Butter und Milch in den Topf und bei mittlerer Hitze kurz erwärmen. Mit Salz abschmecken und zum Secreto servieren.

Zur Auswahl zwei verschiedene Tsatsiki dazu:

Fenchel-Tsatsiki

Zutaten für 4 Personen:

200 g Joghurt
1 Fenchelknolle mit Fenchelgrün
1/2 Knoblauchzehe
Salz

Fenchelknolle gut waschen. Dann die Fenchelspitzen (Fenchelgrün) zupfen und hacken. Die Knolle in feine Scheiben schneiden und unter den Joghurt heben. Knoblauchzehe fein reiben, hinzufügen und umrühren. Mit Salz abschmecken und mit Fenchelgrün garnieren. 

Rote-Bete- Tsatsiki

Zutaten für 4 Personen:

200 g Joghurt
1 Rote Bete Knolle mit Strünken und Blättern
1/2 Knoblauchzehe
Salz und Pfeffer

 Rote Bete gut waschen. Die Blätter abzupfen und die Strünke abschneiden. Rote Bete ungeschält bissfest kochen. In der Zwischenzeit die Strünke in kleine Stücke schneiden und die Blätter fein hacken. Die gekochte Rote Bete mit Schale klein würfeln und in den Joghurt mischen.

Knoblauchzehe hinzufügen und umrühren. Die Strünke unterheben und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die gehackten Blätter zum Garnieren verwenden.  

So sieht das am Ende aus: das Onglet mit Püree. | Foto: Mani Bakhshpour

Onglet

Das Onglet heißt auf Deutsch Nierenzapfen oder Herzzapfen, auf Englisch Hanging Tender. Es ist das Lendenteil des Zwerchfells beim Rind. Seit es Metzger gibt, die sich dem Nose-to-Tail-Trend verschrieben haben, wird es auch wieder angeboten.

Onglet-Steak vom Rind mit Blumenkohlpüree, Blumenkohlblatt-Chimichurri-Soße und Blumenkohlblattchip

Zutaten für 4 Personen:

700g Onglet (Nierenzapfen, Hanging Tender)
1 Blumenkohl mit Blättern
1 Knoblauchzehe
1 kleine leicht scharfe Chilischote
1 Bund Petersilie
2 TL Thymianblätter
2 EL Butter
4 TL Butterschmalz
80 ml Rapsöl und 4 EL Rapsöl
Salz

Onglet

Mit einem scharfen Messer grobe Sehnen vom Onglet entfernen – vor allem die große Mittelsehne. Dann in vier gleichgroße Stücke teilen und diese mit der Unterseite eines kleinen Topfes leicht platt klopfen bis die Steaks etwa zwei Zentimeter dick sind. Wenn das Onglet Zimmertemperatur erreicht hat, eine Pfanne erhitzen.

Dann das Onlget mit Butterschmalz einreiben und salzen und in der heißen Pfanne für etwa drei Minuten auf jeder Seite braten.

Anschließend aus der Pfanne nehmen und auf einem Holzbrett für 5 Minuten ruhen lassen, bevor man das Fleisch anschneidet.

Mit Püree und Chimichurri-Soße servieren.

Blumenkohlpüree

Den Blumenkohl waschen, die Blätter entfernen und für die Soße aufbewahren. Den Blumenkohl kleinschneiden und in einen Topf geben. Diesen mit Wasser füllen, bis die Blumenkohlstücke gerade mit Wasser bedeckt sind.   Bei mittlerer Hitze kochen, bis der Blumenkohl weich ist. Das Wasser abgießen und den Blumenkohl in dem Topf leicht abkühlen lassen. Dann Butter und die 4 Esslöffel Rapsöl dazu geben und mit einem Pürierstab gut pürieren. Mit Salz abschmecken.

Blumenkohlblatt-Chimichurri-Soße

Den Knoblauch fein würfeln.

Thymian, Petersilie samt Stielen und die Blumenkohlblätter gut waschen und zusammen mit dem Knoblauch und 80 ml Rapsöl in einem Mixer pürieren. Mit Salz abschmecken und zum Steak und dem Püree servieren.

Gemüseblattchips

Blumenkohlblätter (oder andere Blätter wie zum Beispiel Kohlrabiblätter, Radieschenblätter, Rübenblätter, Kohlblätter, Rote oder Gelbe Bete-Blätter, Brokkoliblätter, Kürbisblätter)
Rapsöl
Salz

Den Backofen auf 150 Grad vorheizen.

Blätter gut waschen und abtrocknen. Dann mit Öl einreiben und gut salzen. Alternativ kann man die Blätter zusätzlich mit einer Gewürzmischung einreiben.

Die Blätter so lange backen, bis sie knusprig sind. Ofen ausschalten und die Blätter im halboffenen Ofen abkühlen lassen

Je nach Dicke der Blätter unterscheiden sich die Backzeiten.