Der Schweinezyklus

Zum Jahresende haben viele Bauern und auch ein paar Bäuerinnen die Kraft ihrer Traktoren demonstriert. Sie haben Logistikzentren der Discounter Lidl und Aldi und auch von Rewe und Edeka blockiert und Verhandlungen über die Preise verlangt. Die großen Vier seien schuld daran, dass die Preise für Schweinefleisch und Milch im Keller sind. Die Discounter und auch Rewe haben tatsächlich mit Bauernvertreterinnen gesprochen und teilweise auch Verkaufspreise angehoben. Lidl zum Beispiel zehn Schweinefleischangebote um je einen Euro. Danach folgte auch Rewe mit einzelnen Preiserhöhungen. Das hört sich wie ein Erfolg der Aktionen an, ändert nur leider gar nichts am System und hilft weder den Landwirtinnen weiter, noch den Schweinen und Kühen in den Ställen.

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Der Zeitpunkt für die Treckerblockaden der Logistikzentren war gut gewählt. Die Vorweihnachtszeit ist für den Lebensmitteleinzelhandel die umsatzstärkste des Jahres. Da können sich Aldi, Lidl, Rewe und Edeka keine stockenden Nachlieferungen leisten; vor dem Rubel müssen die Lastwagen rollen. Außerdem hat die Bundesregierung ein Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken im Agrar- und Lebensmittelhandel auf den Weg gebracht. Das soll die Lebensmittelketten daran hindern, den Agrarbetrieben unfaire Handelsbedingungen aufzudrücken. Allein die Diskussion darüber, dass ein solches Gesetz nötig ist, hat am Image der großen Vier genagt, die in Deutschland 85 Prozent des Lebensmittelhandels beherrschen. Deshalb geben die Lebensmittelketten derzeit auch viel Geld für Werbung aus, die uns Verbraucherinnen erzählen soll, sie hätten etwas verstanden. Das darf bezweifelt werden. Wer sich anschaut, was das Gesetz gegen die unlauteren Handelspraktiken alles verbietet, bekommt eine Ahnung davon, wie unfair die großen Vier ihre Marktmacht ausspielen. Dennoch sind die Handelsketten in diesem Fall nicht ganz die richtige Adresse für den Unmut der Produzentinnen von Schweinefleisch und Milch. Ein Blick in den Spiegel könnte auch helfen.

Die Landwirte treibt die Existenzangst auf die Straße. Die Angst ist berechtigt, der Gegner derzeit nicht, weil die Probleme nicht die Lebensmittelketten verursachen. Sie sind nur Symptom, das Problem ist das Agrarsystem. | Foto: Masumol / Pixabay

Schweineboom und Schweinebaisse

Es ist noch gar nicht so lange her, da ging es den Schweinebetrieben recht gut. Und das, obwohl die Fleischnachfrage in Deutschland tendenziell eher sinkt. Dafür boomte aber der Export. Deutsches Schweinefleisch reiste vor allem nach China. Der Grund ist derselbe, der später die Nachfrage einbrechen ließ: In Asien grassierte die Afrikanische Schweinpest. Wegen der ASP-Seuche hatten die Chinesen Millionen von Schweinen keulen lassen. Den wachsenden Fleischhunger der Bevölkerung konnten jetzt nur noch Importe stillen. Dann kam Corona und offenbarte die Zustände in deutschen Schlachthöfen und dann war die Afrikanische Schweinepest auch in Deutschland angekommen und China stoppte sofort den Import.

Durch die virusbedingten Lockdowns in deutschen Schlachthöfen und den Zusammenbruch des Exports stehen derzeit rund 700.000 Schweine zu viel in den Ställen. Wenn bei solch einem „Schweinestau“ der Marktpreis sinkt, tut er eigentlich genau das, was man erwartet. Von einem Marktversagen lässt sich da wohl schwerlich reden, zumindest wenn wir uns nur diesen Ausschnitt des Agrarmarktes anschauen. Auch die Erzählung vom unfairen Lebensmitteleinzelhandel passt hier ausnahmsweise nicht.

Über Bedarf

Wer hier versagt hat, lässt sich in den Empfehlungen der sogenannten Borchert-Kommission zur künftigen Tierhaltung in Deutschland nachlesen. Die Bundeslandwirtschaftsministerin hatte Jochen Borchert, ihren Vorgänger im Amt zu Helmut Kohls Zeiten, gebeten, mit einem „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ Verbesserungsvorschläge in Richtung Tierwohl zu machen. Der im Februar vorgelegte Bericht der Kommission stellt gleich am Anfang fest, wo der Fehler im System steckt: „Während die Anzahl der tierhaltenden Betriebe in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat, ist der durchschnittliche Selbstversorgungsgrad Deutschlands für tierische Produkte gestiegen.“ Und zwar gerade beim Schweinefleisch auf weit über hundert Prozent. Von 2008 bis 2018 stieg der Selbstversorgungsgrad für Schweinefleisch von 103 auf knapp 120 Prozent. Und bei der Milch, deren Preisverfall die Milchbäuerinnen seit Jahren beklagen, wird ungefähr zehn Prozent zu viel produziert, beim Käse sogar 26 Prozent über den Bedarf.

„Obwohl der Selbstversorgungsgrad für die meisten tierischen Produkte über hundert Prozent liegt, importiert Deutschland aufgrund des Nachfrageverhaltens im heimischen Markt in erheblichem Umfang wertvolle Teilstücke Fleisch sowie verarbeitete Produkte“, stellt die Borchert-Kommission fest. Wir importieren also auch noch Fleisch- und Milchprodukte. Und das natürlich auch in Zeiten, in denen der eigene Export zusammengebrochen ist.

Ich kann mich noch gut erinnern wie die Baufirma eines Bekannten in Norddeutschland eine Zeitlang im Wochenrhythmus neue Bodenplatten für riesige Laufställe in Beton goss. Das war kurz bevor die EU die Milchquote abschaffte und jeder Milchbauer, der etwas auf sich hielt, wollte mehr Kühe aufstallen. Es wurde für den Export produziert und expandiert, für angeblich riesige unersättliche Märkte. Das war das Credo des Bauernverbands. Und weil der Weltmarkt es wollte, mussten dann auch die Schweine mehr werden und preiswerter, und die Milch und der Käse ebenso.

Die andere Bauerndemo: Seit Jahren viele Traktoren auf der Demonstratrion zur Grünen Woche in Berlin – gegen die Agrarindustrie, für bäuerliche Landwirtschaft. In Corona-Zeiten wird eine virtuelle Demonstration geplant,  mit nur wenigen Traktoren vor dem Kanzleramt.

Weniger wäre mehr

Auf wessen Seite liegt also in diesem Fall das Marktversagen? Wo müsste nachgesteuert oder gar reguliert werden? Wo müsste demonstriert werden? Interessant ist hier die Antwort des Geschäftsführers der INS, der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands, auf eine Frage im Branchendienst Top Agrar nach den vielfach gescholtenen Billigfleischaktionen der Lebensmittelketten. Da sagt Torsten Staack: „Bei allen Diskussionen um die preislichen Entwicklungen, es muss im Lebensmitteleinzelhandel auch zukünftig Aktionswochen und Angebote geben dürfen. Das ist allein deshalb wichtig, um den Absatz von Schweinefleisch zu fördern. Gerade in schwierigen Marktphasen wie diesen und angesichts des Schweinestaus von circa 700.000 Schweinen braucht man jede Verkaufsförderung dringender denn je! Was aber nicht geht, sind Angebote auf Ramschniveau. Das gehört verboten!“ Was der Sprecher der „konventionellen“ Schweinehalter in diesem Interview auch sagt: „Die Bauern müssen weiter Druck machen!“ Also weiter mit dem Traktor vor die Werkstore der Handelsketten und Molkereien fahren.

Liebe Landwirtinnen, wie wäre es denn einfach mit weniger Tieren in den Ställen? Ihr müsst die Ställe deshalb ja nicht verkleinern, ist eh zu wenig Platz da drin. Weniger Tiere, bessere Preise, sagt hier wohl jede BWL-Studentin im ersten Semester. It’s the economy, stupid! Und wäre nebenbei auch ein großer Schritt zu mehr Tierwohl.


Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehlung-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&amp%3Bv=1

EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L0633

Bundesregierung zum Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/unlautere-handelspraktiken-kuenftig-verboten-1812006