
Von einem Tal sprechen Händler, wenn sie in einer Absatzkrise stecken. Und wenn dieses Tal durchschritten ist, dann geht es wieder aufwärts. Das ist das Bild, das gemeint ist, wenn ich diese Kolumne »Durchs Tal der Biokrise« überschreibe. Wer durch das Tal hindurch ist, hat es geschafft.
Es war der Krieg in der Ukraine, der 2022 die Preise trieb und auch die Menschen weit entfernt von Luftalarm und Einschlägen verunsicherte. In den Monaten nach dem russischen Angriff stiegen hierzulande nicht nur die Energiepreise, sondern ganz eklatant auch die der Lebensmittel.
Fossile Landwirtschaft
Kein Wunder eigentlich, ist doch zumindest die konventionelle Landwirtschaft fossil angetrieben. Der bei dieser Form der Landwirtschaft nicht mehr wegzudenkende Kunstdünger wird mit Erdgas hergestellt, die Pestizide kommen von der ebenso fossil betriebenen Chemieindustrie, die Maschinen tanken Diesel. Entsprechend waren es vor allem die konventionellen Lebensmittel, die große Preissprünge machten, während der Preisanstieg bei Bio relativ gering ausfiel oder ganz ausblieb.
Dennoch hatte ich ein Jahr nach Kriegsbeginn meinem Podcast und dem zugehörigen Blog den Titel gegeben: »Bio in der Krise«.
In der Krise wurde letztlich dann gar nicht so viel weniger Bio gekauft. Vor allem wurde Bio aber woanders gekauft und damit auch anderes Bio: Statt im Hofladen oder im Bioladen bei den Supermarktketten und Discountern. Weil es da ja billiger ist. So haben wir das gelernt — stimmte aber oft nicht mal.
»Krieg, Inflation, Energiekrise: Ein Volk hat Angst und geht zum Discounter.« So hatte ich die Situation damals zusammengefasst. Wobei dies die Beschreibung eines sehr deutschen Phänomens ist: Wenn es bei uns kriselt, dann wird zuerst am Essen gespart. Und wenn es dann doch nicht so schlimm kommt, wie befürchtet, dann wird zuerst in Urlaub gefahren — und weiterhin beim Essen gespart.
Das hatte Folgen. Vor allem für viele alteingesessene Bioläden, für den Naturkost-Fachhandel. Der ist heute deutlich ausgedünnt; viele kleine Läden haben die Krise nicht überlebt. Und auch die großen Naturkosthändler knapsen.
Das Beispiel »Landwege«
Ich will hier von einem ganz besonderen Bioverbund erzählen, der gerade dabei ist, sich selbst zu retten, oder der dies eigentlich schon geschafft hat. Es geht um die EVG Landwege eG in Lübeck. Das Kürzel EVG steht für Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft und das kurze eG hintendran zeigt an, dass es sich hier um eine eingetragene Genossenschaft handelt.
Und diese Genossenschaft hat im April dieses Jahres Insolvenz angemeldet und durfte sich dann selbst sanieren. Am Jahresende wird das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung abgeschlossen sein. Es gab keine Entlassungen, alle Höfe sind noch dabei und die fünf Bioläden in Lübeck haben auch überlebt. Nur den jüngsten der Märkte, im benachbarten Bad Schwartau, den gibt es nicht mehr.
Am Beispiel von Landwege lässt sich beschreiben, was verloren geht, wenn solche Projekte verschwinden. An diesem Beispiel kann man begreifen, was der Unterschied zwischen Bio im Supermarkt oder beim Discounter und Bio in einem direkten Verbund von Höfen und lokalen Läden ist. Deshalb steht Landwege hier pars pro toto für all die direkten lokalen Vermarktungswege von biologisch erzeugten Lebensmitteln, die in der anhaltenden Biokrise noch immer zu kämpfen haben.
Wobei die EVG Landwege durch jene anfangs erwähnte Talsohle wohl hindurch ist. Die Umsätze steigen und liegen in zwei von fünf Lübecker Biomärkten zeitweise über denen aus der Zeit vor Corona. Diese Zeit ist die Messlatte für die Biobranche, denn in der Pandemie selbst, als die Menschen zuhause blieben und kochten, verzeichnete die Branche ihr Allzeithoch. Auf das dann der harte Absturz in die Ukraine-Krise folgte.

»Landwege ist definitiv durch die Talsohle hindurch«, sagt Philipp Hennig, der Aufsichtsratsvorsitzende der Genossenschaft. »Natürlich sind wir nicht frei von der Entwicklung um uns herum und wir wissen auch nicht, wohin die geht. Aber was wir tun konnten, das ist getan!«
Hof Genossenschaft
Philipp Hennig ist Landwirt und einer der Betriebsleiter des Gutes Rothenhausen, eines Demeter-Hofes in der Gemeinde Groß Schenkenberg, zwölf Kilometer von Lübeck entfernt.
Als ich ihn dort besuche, an einem sonnig warmen Herbstnachmittag, da ist von der Biokrise nichts zu sehen. Im Gegenteil, der Hof brummt vor Geschäftigkeit. Der Parkplatz am Hofladen steht voller Autos. Die Stühle und Tische vor dem Hofladen sind besetzt. Dort wird Kaffee getrunken und Gebäck gegessen. Der Spielplatz zwischen Hofladen und Ställen ist voller Kinder. Dicht gedrängt stehen sie auch auf einem extra für sie dort postierten Tritt am Fenster des Melkstands und schauen hinein.
Die Melkmaschine läuft, die Kühe rufen, eine Melkerin versucht gerade die letzte von ihnen zum Melkstand zu bewegen. Eine ist immer die letzte und will extra gebeten werden. An diesem Tag ist es die rotbunte Kuh Lena. Auch in der Stallgasse schauen Eltern mit ihren Kindern dabei zu.
Die Familien, die ihren Ausflug zum Bauernhof beenden, tun das mit Einkaufstüten in den Händen. Im Hofladen gibt es ein großes Sortiment an Gemüse und Obst, diverse Brotsorten, Brötchen und Gebäck und eine große Käseauswahl. Auch sonst ist der Hofladen ein gut sortierter Biomarkt. Und auch gut besucht.

Biokrise? Hier nicht, oder?
»Der Schein trügt«, sagt Philipp Hennig. Es ist warm heute, schönes Wetter. Das nutzen viele Eltern mit Kindern für einen Ausflug mit Bauernhoferlebnis. Wenn die Kinder älter sind, bleiben die Eltern auch wieder weg. »Das sagen die uns auch, wenn wir sie dann mal am Marktstand treffen.«
Der Hof sei eben doch weit weg von Lübeck. Zwölf Kilometer sind für Menschen auf dem Land keine Entfernung. Städter empfinden das anders, für sie sei das weit. »Die meisten bleiben in Lübeck und die erreichen wir dann entweder über unseren Lieferservice oder eben über Landwege.«
Bio nicht gleich Bio
Die Biomärkte in der Stadt seien für die Höfe auch mehr als eine Verkaufsstelle. Über Landwege könnten sie auch noch mehr erzählen zu ihren Produkten. Die Geschichten dahinter, die ihre Lebensmittel von denen unterscheiden, die es beim Supermarkt gibt.
Was Philipp Hennig damit sagen will: Bio ist nicht gleich Bio. Die Bio-Lebensmittel der Genossenschaftshöfe von Landwege sind anders, als die standardisierte Ware im sogenannten LEH, dem Lebensmitteleinzelhandel der Supermarktketten und der Discounter. Nur, das klarzumachen, ist nicht einfach.
Schon gar nicht, wenn man sich der Marktmacht des LEH gegenübersieht. Lidl zum Beispiel leistet sich gleich mehrere sogenannte Content Creators, also Menschen, die für den Discounter in ganzen YouTube-Staffeln vor der Kamera stehen und Geschichten über die Biolebensmittel erzählen, die die Kette anbietet. Dabei wird Aufklärungsarbeit geleistet über Bio-Label und Bioproduktion, da werden dann auch Landwirte und Höfe gezeigt. Nur dass die dort entstehenden Bioprodukte in ein genau festgelegtes Raster passen müssen, um bei den Ketten überhaupt ins Angebot zu gelangen, das wird nicht dazu gesagt
Es sei denn, Penny bewirbt sie extra als »Naturgut Bio-Helden« oder Aldi verkauft auch mal nicht ganz makellosen Spargel als »Krumme Dinger«. Dazu gibt’s dann natürlich die Erfolgsmeldungen zum »Pakt gegen Lebensmittelverschwendung«, den übrigens damals der ungeliebte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mit dem Handel geschlossen hat.
Die Geschichten, die andere erzählen über ihre YouTuber und Food-Influencer, seien sicher nicht falsch, sagt Tina Andres vom geschäftsführenden Vorstand der Landwege-Genossenschaft. Wenn es um Bio geht könnten sie nicht falsch sein, »denn Bio ist immer noch der einzig normierte und gesetzlich verbriefte Lebensmittelstandard in Europa.«
Der Unterschied zwischen Bio und Bio ist ein anderer. »Was von einem vielfältigen bäuerlichen Familienbetrieb kommt, passt niemals in ein Discounterregal«, sagt Tina Andres. Das brauche andere Absatzwege, und wenn es die nicht mehr gebe, hätten die Beuern existenzielle Sorgen. »Deswegen ist es so wichtig, dass es uns gibt und wir auch das, was wir wirklich tun, eben die Zusammenarbeit mit bäuerlichen Strukturen, gut kommunizieren.«

Gut kommunizieren
Kommunikation meint im Handel eigentlich auch Werbung. Aber ein Betrieb, eine Genossenschaft, die gerade durch ein Insolvenzverfahren gegangen ist, dürfte dafür wohl eher kein Geld haben. »Doch«, sagt der zweite Landwege-Vorstand Klaus Lorenzen, »wenn auch mit einem vergleichsweise winzigen Budget.« Im Prinzip aber sei die werbliche Kommunikation im Insolvenzverfahren sogar vorgesehen, »damit wir Kundinnen und Kunden ansprechen können, die wir bisher noch nicht erreicht haben. Auch um klar zu machen, was uns grundlegend vom Discounter unterscheidet.«
Das sei nicht unbedingt das einzelne Produkt, das die EVG Landwege vom Supermarkt nebenan unterscheidet. »Das ist vielmehr die Herangehensweise, die Philosophie, die Art, wie wir miteinander arbeiten.«
Wobei, wer im Biomarkt bei der Landwege-Zentrale in der Lübecker Ziegelstraße einkaufen geht, kann direkt vergleichen. Gleich nebenan gibt es einen großen Rewe-Markt und auch den zum Konzern gehörenden Discounter Penny. Der Unterschied ist augenfällig: bei Landwege ein breites Angebot an Gemüse und Obst, alles bestens gepflegt und unverpackt. Nebenan dann eine deutlich dürftigere Auswahl. Und wer hier einkauft, kann dann einen guten Teil dessen, was er nachhause getragen hat, gleich in der Gelben Tonne entsorgen.
Klaus Lorenzen fasst es so zusammen: »Wir bieten ein breites Spektrum an nicht normiertem Obst und Gemüse, das es in Supermärkten und bei Discountern nicht mehr gibt, weil das in deren Strukturen auch nicht mehr passt.« Landwege kann das anbieten, was eine der Stärken des Verbunds aus Höfen, Märkten und Verbrauchern ist. Das müsste nur auch herausgestellt werden, damit den potenziellen Kundinnen und Kunden das klar werde. »Und das ist sicher etwas, was in den Jahren, in denen es von alleine lief, zu kurz gekommen ist.«

Mitglieder – Zuwachs und Problem
Es waren viele Jahre, in denen es wie von alleine lief. Landwege wurde, wie vieles in der Biobranche, nach dem Schock des Super-GAUs im Atomkraftwerk Tschernobyl gegründet. Kaum war die radioaktive Wolke über Lübeck gezogen, da war schon 1988 die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft da. Seitdem wuchs die EVG-Landwege. Heute gibt es rund dreißig Mitgliedshöfe in einem Umkreis um Lübeck herum, der das Wort regional als Herkunftsbezeichnung noch zulässt; und rund 1800 Kundinnen und Kunden sind Mitglieder der Genossenschaft.
Aber genau diese Mitglieder, oder besser gesagt, ein kleiner Teil von ihnen, hat das Problem mit verursacht, in dem Landwege steckte: die Insolvenz. Die Zahlungsunfähigkeit drohte, weil Genossenschaftsmitglieder ihren Austritt verkündeten und ihre Einlagen zurückhaben wollten.
»Es sind gar nicht viele Mitglieder, die gekündigt haben«, sagt Klaus Lorenzen. In diesem Jahr wird die Kündigung von rund vierzig, im nächsten Jahr noch einmal die von knapp fünfzig Genossenschaftsmitgliedern wirksam. Aber, da diese Mitglieder sehr viele Anteile halten, sind allein in diesem Jahr rund 350.000 Euro fällig. »Das wäre in einem guten Geschäftsjahr sicher möglich gewesen, das auszuzahlen, aber nicht nach drei Krisenjahren.«
Während einige Mitglieder ihre Anteile kündigen und »ihre« Genossenschaft damit in Existenznot bringen, hat Landwege gleichzeitig so viele Mitglieder hinzugewonnen, wie nie zuvor. Dabei half ein neues Konzept: Wer »Mitglied plus« wird, zahlt zusätzlich zum Genossenschaftsanteil, den es schon ab fünfzig Euro gibt, einen Monatsbeitrag von neunzehn Euro und kann dann immer für zwölf Prozent Rabatt einkaufen. Das lohnt sich, vor allem für Familien.
Das bringt aber die ausgestiegenen Mitglieder mit den vielen Genossenschaftsanteilen nicht zurück. Einige von denen mag auch das Ausbleiben der Dividende veranlasst haben, ihre Mitgliedschaft zu kündigen, vermutet Tina Andres. »Wir haben über zwanzig Jahre lang immer Dividende gezahlt, aber in den Krisenjahren wäre das unverantwortlich gewesen.«
Vielleicht hatte der Eine oder die Andere ihre Beteiligung bei der Landwege-Genossenschaft auch als Alterssicherung gedacht. Und wenn dann die Dividende ausbleibt und die Zeiten ohnehin düster ausschauen, dann ist man schon mal versucht, sein Geld zu sichern.
Das allerdings dürfte nicht so ganz geklappt haben, denn dass eine Genossenschaft, die letztlich von ihren scheidenden Mitgliedern in die Insolvenz getrieben wurde, am Ende die volle Summe auszahlt, ist eher unwahrscheinlich. Selbst wenn sie wollte, würde das die Aufsicht wohl nicht durchgehen lassen. Die gibt es auch bei einer Insolvenz in Eigenverantwortung.

Insolvenz als Chance
Nicht nur für die scheidenden Genossenschaftsmitglieder wird das Insolvenzverfahren einige Aha-Erlebnisse bedeuten. Auch für die beiden im Vorstand waren einige Erfahrungen im Laufe des Verfahrens ganz neu. Eine der gravierendsten: das Insolvenzrecht schafft Verhandlungsbereitschaft auch bei den Geschäftspartnern, die sich zuvor eher uneinsichtig zeigten.
»Schon lange bevor wir die Insolvenz in Eigenverantwortung beantragt haben, wussten wir, was zu tun war«, sagt Tina Andres, »die wesentlichen Schalter waren uns wohl bekannt.« Da gab es zum Beispiel jenen Biomarkt in der Nachbarstadt Bad Schwartau, der sich nicht erholt hatte aus der Biokrise. »Bad Schwartau hat ein ganz anderes Publikum als Lübeck«, sagt Klaus Lorenzen. Da sei die Idee einer Bio-Genossenschaft von Erzeugern und Verbrauchern offenbar nicht so anschlussfähig.
Dieser Biomarkt musste also schließen. Aber der Vermieter des Ladens wollte die Genossenschaft nicht aus dem Vertrag lassen. Das ging dann erst mit dem Insolvenzrecht, das eine kurzfristige Kündigung möglich machte. Der Laden ist jetzt geschlossen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden aber nicht gekündigt. Wer wollte, konnte bei Landwege bleiben.
Auch ein anderer Vermieter machte Probleme. Der hatte mitten in der Krise die Option einer Indexmiete gezogen, was zu einer drastischen Mieterhöhung führte. »Auch da haben wir schon lange vorher Gespräche geführt», sagt Tina Andres. Aber auch da habe es leider erst das Insolvenzrecht gebraucht, um ein Einlenken zu erwirken. »Alle Gespräche, die wir während der Insolvenz geführt haben, hatten wir vorher auch geführt, ob mit ausscheidenden Mitgliedern, mit langjährigen Partnern oder eben mit Vermietern. Aber ohne den insolvenzrechtlichen Rahmen hat sich zu wenig bewegt.« Letztlich habe der Weg in die Insolvenz so das Überleben der Genossenschaft gesichert.
Auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Genossenschaft sagt im Rückblick, dass das Insolvenzverfahren richtig und notwendig war. Vor allem auch, weil die Höfe und auch die anderen Mitglieder von Anfang an mit eingebunden waren. »Makellose Transparenz!« sagt Philipp Hennig.

Gut Rothenhausen
Womit wir wieder beim Gut Rothenhausen wären – einem von rund dreißig Höfen, die Genossenschaftsmitglied bei Landwege sind.
Das Gut ist 1976 umgestellt worden auf Bio und seitdem ein Demeter-Hof. Es wurde damals von einer Familie gekauft, die weit weg von ihrem Hof vertrieben worden war — durch einen Autobahnbau. Eine Vertreibung mit Entschädigung, die den Kauf, die Renovierung und den Umbau des Guts ermöglichte.
Damit dieser Hof bestehen bleibt, wurde er einem gleich am Anfang gegründeten Verein übereignet. Die drei Familien, die den Hof derzeit betreiben, sind also nicht die Eigentümer. Aber sie sind die Arbeitgeber von insgesamt vierundzwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es leben also dreißig Erwachsene auf und von dem Hof — und eine Menge Kinder. Auch Altbauern gibt es, die noch mitarbeiten.
Gut Rothenhausen bewirtschaftet 110 Hektar Land, für Schleswig-Holstein ein kleiner Betrieb. Und lebensfähig wohl nur, weil es sehr viele Betriebszweige, sehr viele Standbeine gibt.
Einerseits den Ackerbau, für den Philipp Hennig zuständig ist, von dem er aber sagt, dass der nichts abwirft. Er ist aber die Grundlage für die Hofbäckerei, die ordentlich Geld verdient. So viel, dass gerade eine neue gläserne Bäckerei gebaut wird, mit großen Fenstern für die Besucher. Zusammen mit dem Grünland ist der Ackerbau auch Grundlage für das Milchvieh. Die kleine Herde von derzeit nur fünfundzwanzig Kühen liefert die Milch für die hofeigene Käserei.
Ein ganz wichtiges Standbein ist der Gemüsebau. Der liefert die Ware auch für den Lieferservice, der die Biokiste zu den Leuten nachhause fährt.
Und wie wichtig ist dann der Vertrieb über Landwege für den so breit aufgestellten Hof? »Sehr wichtig!« sagt Philipp Hennig. Über Landwege werden je dreißig Prozent der Backwaren und der Milchprodukte vermarktet und etwa zehn Prozent des Gemüses.
Was wäre dann gewesen, wenn Landwege Opfer der Biokrise geworden wäre? »Das wäre für uns eine Katastrophe«, sagt Philipp Hennig. Der Hof sei zwar auch durch die Talsohle der Biokrise durch, aber wenn jetzt ein so großer Absatzmarkt wegbräche, dann gäbe es dafür erst einmal keinen Ersatz. »Dann müssten wir uns drastisch verkleinern, um wenigstens den Hof zu retten.«
Fachkräfte Mangel
Ist nicht passiert. Landwege lebt weiter.
Und muss sich weiter anpassen an drastisch veränderte Gegebenheiten. Denn das einfache Überleben der Biokrise ist nicht der Weg in die Zukunft für die Genossenschaft. Schon deshalb, weil die Absatzkrise im Naturkost-Fachhandel nur ein Teil der multiplen Krisen ist, die uns derzeit heimsuchen. Ein anderer ist der Fachkräftemangel.
Das Fehlen von fachkundigem Personal ist schon länger ein Problem. Es hat aber erst jetzt, in der Biokrise zu dem geführt, was Tina Andres als einschneidende Veränderungen benennt. Das Sterben der Bedientheken führte auch zu einer Lücke im Angebot.
»Damit ist leider die Vermarktung von unfassbar schönen Fleisch-, Wurst-, und Käseprodukten über unsere lange gehegten und gepflegten Bedientresen weggebrochen.« Es waren die Spezialitäten von den Höfen, die feinen Unterschiede der Produkte, die eben nur über das Fachpersonal wirklich gut verkaufbar waren. Das bedeutet Veränderungen auch für die Höfe, die ihre sehr speziellen Produkte nur noch loswerden, wenn die keine umfangreiche Erklärung durch eine Fachkraft im Markt mehr brauchen.
Was diese Fachkraft bewirken kann, das kennt jeder, der mal auf einem Markt am Käsestand ein kleines Stückchen zum Probieren rübergereicht bekam: Die Verkäufer wecken die Lust auf die guten Lebensmittel. Wie sie ersetzen?

Innovation Küche
Vielleicht funktioniert das mit anderen Produkten.
Landwege hat sich in besseren Zeiten eine Innovation geleistet, die sich jetzt in der Krise bewährt hat: eine Großküche. Eigentlich ging es da um die Idee der Tiervermarktung »From Nose to Tail«. Das ist der Fachbegriff dafür, das ganze Tier zu verwerten – von der Nase bis zum Schwanz eben. Nichts wegwerfen. Um das zu können, muss man zum Beispiel Eintöpfe herstellen und Suppen. Das genau macht die Küche von Landwege. Und sie macht das hoch professionell, die sogenannten »Glaswaren«, also die Gläser mit Eingekochtem, finden ihre Käuferinnen und Käufer.
Der Nose-to-Tail-Trend hat inzwischen eine Entsprechung beim Gemüse und heißt dort »From Leaf to Root«, vom Blatt bis zur Wurzel. Ich habe das im Blog schon mal vorgestellt., wie man zum Beispiel von der Roten Beete auch die Blätter im Salat verwertet.
Auch da ist die Landwege-Küche längst angekommen. Sie verwertet die Gemüseprodukte der Höfe, kocht sie ein – und liefert sie zum Teil auch wieder zurück in die Hofläden.
Das ist ausbaufähig, sagt Vorstand Klaus Lorenzen. Und Landwirt Philipp Hennig stimmt ihm zu.
Die Lieferwege sind jetzt keine Einbahnstraße mehr. Über die Küche gibt es jetzt auch den Weg zurück auf die Höfe und in deren Hofläden, oder, wie beim Gut Rothenhausen, auch zum hofeigenen Lieferservice. »Das ist jetzt noch kein großes Segment«, sagt Philipp Hennig, »aber da steckt auf jeden Fall Potenzial drin.« Die Küche liefere hohe Qualität und könne die Überschüsse der Höfe bestens verarbeiten.
Aufgeben ist keine Option
»Aufhören«, sagt Tina Andres, »ist nicht die Option. Wir können nicht einfach aussteigen aus den mühsam aufgebauten geschlossenen Betriebskreislauf mit vielfältiger Tierhaltung und vielfältigem Leben in der Landschaft. Das ist nicht zukunftsfähig.«
Also: weitermachen und sich dabei wandeln. Sie sieht das als ein viel größeres Thema als die vergleichsweise kleine Insolvenz einer Genossenschaft in Lübeck. Die ja nun aber sowieso abgewendet ist, weshalb man sich den größeren Themen wieder widmen kann. Denen ist sie ohnehin verpflichtet, da sie ja nebenbei auch noch die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Ökologische Landwirtschaft ist.
Wie sie das wohl zusammenbringt? Das erklärt sie so einfach wie umfassend: »Die Landwirtschaft wird aufgrund des Klimawandels und des Artensterbens auch in Zukunft nicht leichter werden. Umso wichtiger ist diese vielfältige Art der Landwirtschaft, die wir mit unseren Strukturen hier unterstützen, denn sie ist weniger störanfällig.«
Wenn eine Kultur in einem Jahr nicht funktioniere, funktionierten dafür vielleicht fünf andere, und im nächsten Jahr wieder andere. »Wir sind der festen Überzeugung, dass es diese Form von Landwirtschaft braucht und nicht die Monokulturen, die dann eben auf einen Schlag wirklich riesige Ernteausfälle erleben müssen.«
Zukunftsfähig sei nur eine vielfältig aufgestellte Form der Landwirtschaft, kleinteilig mit vielen Strukturen in der Landschaft. »Und auch mit entsprechenden Vermarktungsstrukturen.«
Was die angeht, kann sie sich auch digitale Varianten vorstellen. Vorbilder wie die »Tante-Enso-Läden« ohne ständig anwesendes Personal gibt es ja schon. Warum sollte das mit Bio nicht funktionieren? »Das sind dann vielleicht Genossenschaftsläden auf dem Land, die eigentlich nur noch durch ehrenamtliche Mitglieder oder tatsächlich nur mit Auffüllteams betrieben werden.«
Aber nicht nur um neue Vermarktungswege geht es Tina Andres, auch um neue Formen der Zusammenarbeit bei der Verarbeitung der Biolebensmittel. Es klingt wie eine Vision für die Zeit nach der Insolvenz. Sie wünscht sich, »dass die Genossenschaft Landwege sich über andere Arten der Zusammenarbeit neu stärkt, etwa über intensivere gemeinsame Produktion und Veredelung von Rohprodukten«. Der Anfang mit der Küche wäre ja gemacht.