Es ist Hochsommer. Ferienzeit. Die Strände sind voll – voller Plastik. Es ist überall, auch da, wo wir es nicht sehen. Auf unserer Haut, aufgetragen mit Cremes und Kosmetik. In unserer Kleidung und unseren Schuhsohlen, abgerieben durch Bewegung. Wir verteilen es täglich, auch wenn wir das nicht wissen und nicht wollen. Und wir nehmen es auf, mit dem Essen, mit dem Atmen. Es ist auch in uns unterwegs, es fließt durch unsere Adern, dringt in unsere Zellen ein. Auch das hat Folgen. Plastik überall, Plastik für die Ewigkeit, Plastik in jedem Einkaufswagen. Das ist mein Sommerthema. Hier und im Podcast.
Die Touristenstrände dieser Welt werden sauber gehalten. Optisch gereinigt von grobem Plastikmüll, vom Weggeworfenen und Angespülten. Aber die Strände bestehen zu einem stetig größer werdenden Teil längst aus Plastik. Der Sand ist damit durchsetzt. Das Meer rollt Steine an den Strand, die nicht mehr aus Stein sind. Am Grund bildet sich eine neue Schicht von Sediment, das auch in Millionen Jahren noch Zeugnis ablegen wird von uns, eine Schicht aus zerriebenem Mikroplastik, die Hinterlassenschaft des Anthropozäns.
Unser täglich Plastik
Was macht das Plastik mit uns, wieso und wie verteilen wir es ständig? Und vor allem: Muss das so sein oder ginge es auch anders?
Das sind Fragen, die ich Michael Braungart gestellt habe. Der Chemiker und Verfahrenstechniker ist Professor für Öko-Effektivität an der Leuphana Universität in Lüneburg und Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Er hat das Cradle-to-Cradle Prinzip der abfallfreien Produktion entwickelt, das er als Gastprofessor an mehreren Universitäten lehrt. Das Prinzip bezeichnet Produkte, die »von der Wiege zur Wiege« gedacht sind, also nicht zur Bahre. Eine Produktionsweise, bei der am Ende kein klassischer Abfall entsteht, der deponiert werden müsste oder verbrannt. Die Reste der Cradle-to-Cradle Produkte sind biologisch abbaubare Nährstoffe, soweit sie in die Umwelt gelangen, oder sie sind komplett technisch recyclebare und wiederverwendbare Stoffe, soweit sie in der technischen Sphäre verbleiben. Cradle-to-Cradle ist längst auch ein Zertifikat, das umweltpositive Produkte auszeichnet und eine NGO.
Hier folgt das für diesen Blog transkribierte Interview mit Michael Braungart – anzuhören im gleichzeitig erschienenen Podcast: Ein Gespräch über das allgegenwärtige Mikroplastik als chemische Belästigung von uns allen. Allgegenwärtig, aber unnötig und vermeidbar.
Ein Gespräch über Plastik
? Wenn ich einen Fernsehfilm oder einen Beitrag über Mikroplastik anschaue, dann fängt der gemeinhin an mit irgendeinem Plastikstrudel irgendwo entfernt im Meer oder mit Plastiktüten oder Abfällen oder Fischernetzen, die irgendwo am Strand herumliegen oder in die sich Vögel verheddert haben. Und ich habe gelernt, dieses wird zerrieben zu Mikroplastik. Und das fressen die Fische. Und mit den Fischen essen es wir und daran sterben Vögel und so weiter. Das setzt sich auf dem Meeresgrund als neues Sediment ab. Ist das ein Hauptproblem von Mikroplastik?
! Das Mikroplastik-Thema fängt natürlich damit an, dass man Plastik im Meer findet. Und jedes Jahr werden etwa sechs bis acht Millionen Tonnen zusätzlich in die Meere eingetragen. Das sind Flaschenverpackungen, aber auch eben Fischernetze. Die zersetzen sich hauptsächlich durch das UV-Licht in kleinere Teile und dann wird eben Mikroplastik daraus.
Aber die Deckel von Plastikflaschen zum Beispiel bringen Tiere auch direkt um. Die verwechseln sie mit Muscheln. Darum hat die Europäische Union festgelegt, dass jetzt die Kappen und Deckel von Flaschen an der Verpackung dranbleiben müssen, weil man besonders häufig diese Verschlüsse im Magen von Tieren findet.
Abfall und Abrieb
Das immer weiter sich zerkleinernde Plastik wird zu Mikroplastik und Nanoplastik und dann eingebaut in alle möglichen Lebewesen. Wir haben zum Beispiel Austern untersucht. Dort findet man zwischen 1.500 und 40.000 Mikroplastikteile nur in einer Auster. Das kommt im Wesentlichen aber aus anderen Quellen als dem Zerfall von Weggeworfenem, nämlich aus dem Abrieb, aus dem Verschleiß von Gegenständen. Ein Drittel des Mikroplastiks in der Nordsee, welches wir gemessen haben, ist zum Beispiel Textilabrieb. Die Leute kaufen Textilien aus Polyester und der Abrieb des Polyesters findet sich dann natürlich auch im Meer wieder.
? Das bedeutet einerseits ist es tatsächlich das weggeworfene Plastik, das in die Meere eingetragen wird …
! Ja, und zum anderen ist es der Plastikabrieb, also der Verschleiß, von Schuhsohlen, von Bremsbelägen, von Autoreifen. In der Elbe haben wir gemessen: 54 Prozent des Mikroplastiks im Fluss ist Reifenabrieb. Die Autoreifen halten heute doppelt so lange wie vor dreißig Jahren. Vor dreißig Jahren blieb der Reifenstaub aber auf der Straße. Das war schon dumm genug. Jetzt ist er viel feiner und wird direkt eingeatmet. Oder er gelangt in die Gewässer und wird dadurch in die Nordsee geschwemmt.
? Was ist der Unterschied? Gibt es da einen Unterschied zwischen dem, was zersetzt wird durch UV-Licht, durch Wellengang, und dem, was Abrieb ist von Reifen oder Schuhsohlen oder von Polyesterkleidung?
! Letztlich ist es am Ende das gleiche Mikroplastik. Es zerkleinert sich immer weiter. Es entsteht dann auch noch mal ein tausendfach kleineres Plastik daraus. Das nennt man Nanoplastik, fasst es aber unter dem Begriff Mikroplastik zusammen. Wir verbreiten nach Angaben des Umweltbundesamtes pro Person und Jahr 110 Gramm an Mikroplastikabrieb nur durch unsere Schuhsohlen. Und das landet in der Umwelt.
All diese Dinge, die uns umgeben, sind nicht dafür gemacht, dass sie nachher in biologische Kreisläufe zurückgehen können. Wer zum Beispiel im Hotel mal Sex hatte, wacht am nächsten Morgen mit aufgeriebenen Knien auf, weil dort in der Baumwollbettwäsche einfach vierzig Prozent an Polyester steckt und das schafft natürlich den entsprechenden Mikroplastikabrieb. Damit halten die Leintücher etwas länger, aber man erkauft sich das durch den Mikroplastikabrieb, den man natürlich auch in der Waschmaschine hat oder beim Tragen plastikbehandelter Kleidung insgesamt.
Darum muss ab nächstem Jahr in Frankreich in jede neue Waschmaschine ein Mikroplastikfilter eingebaut werden. Bis dann alle Waschmaschinen damit ausgestattet sind, werden die nächsten zwanzig Jahre vergehen. Und in Deutschland ist noch nicht mal das vorgeschrieben.
Das ewige Leben
Das eigentliche Problem ist auch, dass der Abrieb ja beim Tragen stattfindet, beim Gehen, in der Freizeit: Beim Sommerskifahren auf künstlichen Pisten zum Beispiel, oder auch im Winter beim Skiwachsen. Ich habe die Gewässer in Österreich untersucht: die sind alle mit Skiwachs verseucht. Die Leute benutzen das und denken nicht daran, dass das Mikroplastik daraus in die Gewässer kommt.
? Aber wieso ist Mikroplastik im Skiwachs?
! Das sind Teflonverbindungen, wie man sie auch aus der Bratpfanne kennt. Dadurch bleibt die Oberfläche stabil, aber die reiben sich natürlich ab. Man hat auch Mikroplastik in Zeitschriften. Damit die Druckfarben möglichst schnell trocknet, gibt man auch da Teflon dazu.
Das Schöne ist: Es ist uns damit gelungen, das ewige Leben zu schaffen. Diese Teflonverbindungen sind ein Teil von Mikroplastik, der nicht vergeht. Die werden so lange auf diesem Planeten sein, wie es diesen Planeten gibt, also etwa die nächsten dreieinhalb Milliarden Jahre. Erst dann, wenn die Sonne die Erde auffressen wird, weil sie so groß wird, dass sie die Erde verschluckt – erst dann werden bei 1.500 Grad diese Teflonverbindungen zerstört werden. So haben wir Menschen sozusagen das ewige Leben geschaffen. Ist ja auch eine Leistung, oder?
Frei von?
? Vielleicht geht es auch ohne dieses ewige Leben? Ich habe mir gerade neue Pfannen gekauft und die sind PFAS-frei. Es gibt eine Firma in Deutschland, die Antihaftoberflächen herstellt, die ohne diese ewig haltenden Umweltgifte auskommen.
! Aber die PFAS sind nur eine Gruppe solcher Verbindungen. Es würde mich interessieren, ob diese Antihaftpfanne überhaupt keine Teflonverbindungen drin hat, keine Fluorverbindungen, denn alle Antihaftpfannen, die im Moment auf dem Markt sind, haben Teflonverbindungen drin. Jetzt zwar nicht mehr die polyfluorierten Verbindungen, die als lineare Verbindungen besonders schädlich sind, auch hormonell wirken und uns unfruchtbar machen und biologische Gleichgewichte zerstören. Aber es gibt andere, die dann PFAS-frei sind, aber trotzdem nach wie vor Teflonverbindungen enthalten.
Also das »frei von« hilft nicht. Ich könnte auch draufschreiben, diese Bratpfanne ist garantiert frei von Plutonium. Oder irgendein anderes chemisches Element kann mir dazu einfallen. Es gibt zum Beispiel von einem großen Kosmetikhersteller in Hamburg tolle Aufschriften auf den Produkten: »Frei von Mikroplastik«. In den meisten dieser Produkte war aber nie Mikroplastik drin. Also kann ich »frei von« natürlich draufschreiben. Das gilt auch für eine Firma, die Reinigungsmittel herstellt und recycelte Plastikverpackungen dafür verwendet. Schreibt dann drauf: »Frei von Mikroplastik«. Aber es war nie Mikroplastik drin! Überhaupt: das Mikroplastik Thema für Kosmetik spielt erst seit Anfang der 2000er Jahre eine Rolle. Vorher wurden diese Mikroplastikverbindungen in Kosmetik nicht verwendet.
? Aber das ist doch das, was wir Verbraucherinnen und Verbraucher gelernt haben: Mikroplastik entsteht durch zerriebenes oder zerfallenes Plastik, das wir auf irgendeinem Weg in die Meere schaffen. Und zweitens haben wir dann irgendwann gelernt, meinetwegen Anfang der 2000er Jahre, dass Mikroplastik auch in der Kosmetik ist. Und jetzt steht überall drauf, wo vielleicht noch nie welches drin war, dass da keins drin ist. Aber irgendeinen Hinweis, dass keines drin ist, brauche ich ja als Verbraucher.
! Wenn ich immer draufschreibe, was nicht drin ist, dann ist das eigentlich kein guter Ratschlag, denn dann habe ich eine ganze Liste von dem, was nicht drin ist, statt zu definieren, was drin ist. Bei einem guten Kochrezept sage ich auch, was verwendet wird und schreibe nicht auf, was nicht hineingehört. Das ist so, als würde ich jemandem, der zum Tode verurteilt wurde, sagen: Du wirst nicht erschossen. Das hilft ihm aber nichts, wenn er dann erhängt wird.
Definieren, was drin ist
In Peeling-Cremes und Lotion zum Beispiel wurde früher Sägemehl verwendet oder es kamen kleine Tonteilchen hinein, mit dem gleichen Effekt. Es war einfach nur billiger, das durch Polypropylen-Plastikteilchen zu ersetzen. Und das könnte man lange schon anders machen.
? Das heißt, wir müssten eine ehrliche Angabe haben, was in der Kosmetik tatsächlich verwendet wird?
! Nein, das Leben ist viel zu kurz, um ständig irgendwelche Beipackzettel zu lesen. Es muss klar sein, dass Kosmetika, weil sie in die Umwelt gelangen, so sind, dass sie sich perfekt biologisch abbauen und dass sie deshalb sich auch nicht in anderen Lebewesen anreichern. Und das ist es. Warum soll ich als Kunde dafür zuständig sein, nur weil die Politik nicht handelt. Es müsste also anders sein. Ich muss positiv definieren, was drin ist.
Wir hatten mal eine Kosmetikserie entwickelt mit einem Hersteller, weil uns aufgefallen ist, dass die Leute viele billige Chemikalien nehmen für so eine Shampoo zum Beispiel oder ein Hautpflegemittel. Da ist dann das billigste Tensid drin und davon kriege ich eine trockene Haut. Also wird ein Befeuchtungsmittel hinzugegeben, das mir eine Hautreizung verursacht. Dann wird ein Lähmungsmittel dazugegeben, damit ich nicht spüre, dass die Haut gereizt wird. Wir haben gezeigt, dass man alle Kosmetika mit weniger als zehn verschiedenen Substanzen machen kann. Und dann schreibt der Hersteller nachher drauf: »Hergestellt aus neun reinen Substanzen«. War es vorher schmutzig? Oder ist neun viel oder weniger?
Das heißt, die ganze Kommunikation darüber fehlt völlig. Man versucht für etwas Unvernünftiges – Kosmetika sind zunächst mal etwas Unvernünftiges − und dafür versucht man nun einen vernünftigen Grund zu finden. Wenn ich dir sage »Ich liebe dich, weil …« dann liebe ich dich überhaupt nicht, weil Liebe bedingungslos ist. Sobald ich einen vernünftigen Grund dafür finde, ist es keine Liebe mehr. Und so ist es bei Kosmetika auch. Der Kunde will doch einfach nur eine schöne Haut haben. Er möchte erreichen, dass Hautunreinheiten ausgeglichen werden oder dass man sich differenzieren kann.
Chemische Belästigung
So ein Lippenstift ist nie für biologische Kreisläufe gemacht. Eine Frau isst während ihres Lebens etwa 6,3 Kilogramm Lippenstift. Wie viel davon weggeküsst wird, wissen wir nicht. Was wir wissen: Im Lippenstift ist nach wie vor ganz viel Mikroplastik. Und das wird einfach geschluckt und aufgenommen. Ich habe doch aber, wenn ich einen Lippenstift kaufe, ein Recht darauf, dass das essbar ist und dass es sich biologisch abbaut. Wenn wir sexuell belästigt werden, dann müssen wir doch auch nicht nachweisen, dass wir davon krank werden.
Ich habe einfach ein Recht, nicht belästigt zu werden. Und Mikroplastik ist chemische Belästigung. Inzwischen reichert sich dieses Mikroplastik in unserem Körper so an, dass wir es in jeder Körperzelle finden. Also jede Körperzelle ist ein kleiner Plastikmüllhaufen.
? Was das bedeutet, darüber reden wir gleich noch. Ich will noch mal zurück zu der Produktion. Also die EU verbietet Plastiktüten, dann verbietet sie Plastikstrohhalme, die ja Strohhalme heißen, weil sie mal aus Stroh waren …
! Die EU verbietet nicht Plastiktüten generell. Sie verbietet bloß eine bestimmte Art von Plastiktüten, von denen wir im Durchschnitt sechzehn im Jahr verwendet haben. Wir verwenden aber über sechshundert Plastiktüten. Diese kleinen Hemdchen-Plastiktüten, um Obst einzupacken oder diese großen Plastiktüten, mit denen wir im Laden schwerere Dinge einkaufen, die sind alle in Verwendung. Wir haben nur sechzehn verboten von den mehreren hundert. Und das ist so ähnlich auch bei den Strohhalmen. Jetzt ist zwar der Plastikstrohhalm verboten, aber der Papierstrohhalm ist mit Plastik beschichtet und das gibt genauso Mikroplastik.
Das ist eine Alibigeschichte. Das hat mit einer realen Lösung nichts zu tun. Das ist Beschäftigungstherapie.
? Das heißt, wir fühlen uns gut, aber es ist nichts gut?
! Ja, es ist eine Art Umwelt-Ablasshandel. Es steht in keinem Verhältnis zur Dimension des Problems. Wir müssen wirklich erreichen, dass alle Plastikarten in biologische Kreisläufe zurückgehen, wenn sie verschleißen und alle, die nur genutzt werden, in technische Kreisläufe gehen.
In einer Waschmaschine werden im Moment 85 verschiedene Plastiksorten verwendet. Wenn ich die Waschmaschine nicht verkaufe, sondern nur die Nutzung der Waschmaschine verkaufe, dann kann der Hersteller anstatt 85 Plastiksorten vier Plastiksorten nehmen, bei denen es sich lohnt, sie wieder zurückzugewinnen.
Plastik ist per se nichts Schlechtes, aber es muss so sein, dass es biologisch abbaubar ist, wenn es im biologischen System verschleißt. Und wenn es am Ende in technische Systeme zurückgeht, muss es so sein, dass es sich lohnt, das zurückzugewinnen.
? Gut, das ist ja die Idee von Cradle-to-Cradle. Wenn bislang von »wir« die Rede war, dann war damit Cradle-to-Cradle gemeint?
! Ja, damit ist unser Institut gemeint, das Hamburger Umweltinstitut vor allem. Es ist aber vor allem auch ein Cradle-to-Cradle Verein gemeint. Es gibt ganz viele Leute, die inzwischen nach diesem Prinzip Dinge herstellen.
Von der DDR lernen
Bloß die Herausforderung ist riesig. Wir haben bei einem Discounter nur bei den Eigenmarken 52 verschiedene Plastiksorten gemessen. Damit es möglichst leicht ist und man möglichst schnell produzieren kann, werden verschiedene Plastiksorten zusammengepackt. Da wird mit PVC beschichtet, es wird mit Polyamid beschichtet. Es werden Mischkunststoffe gemacht, die verschiedene Eigenschaften haben, so dass ich die Plastikfolie möglichst dünn machen kann …
? Die man dann aber nicht mehr recyceln kann?
! Wo man natürlich nichts mehr mit Recycling machen kann. Man könnte dabei etwas von der DDR lernen. In der DDR hatte man praktisch nur einen einzigen Standardverpackungskunststoff: das Polypropylen. Und Polypropylen kann ich, wenn ich es als eine Sorte habe, bis zu dreißigmal für denselben Zweck wieder einsetzen. Ich kann es dann als Verpackung praktisch universell wieder neu verwenden. Dann endet das nicht im Ozean, weil es dann etwas wert ist. Dabei muss man dann allerdings auch die Pigmente und die UV-Stabilisatoren und die Schlagzähigkeitsverbesserer und die Antioxidantien mit betrachten. Dann müsste man auch auf all diese Verpackungen Pfand erheben, nicht nur auf Getränke, sondern auch auf Chipstüten und Salzstangen-Verpackungen. Dann könnte man einen Standardverpackungskunststoff haben und dann würde man das Plastikproblem zum großen Teil von Anfang an lösen können.
Klamottenplastik
? Aber was ist mit der Kleidung, mit den ganzen mit Plastik haltbarer oder dehnbarer gemachten Stoffen?
! Naja, es gibt ja zum Beispiel Elastan in der Jeans. Das kann ein Lycra sein, das kann ein Roica sein. Manche davon bauen sich biologisch nicht ab. Lycra baut sich nicht ab. Wenn man damit eine Jeans hat, wo dann fünf Prozent Elastan drin ist, und die landet am Ende in Afrika, dann wird sie für ein paar Putzlappen gut sein – und dann wird immer Mikroplastik übrigbleiben.
? Aber es ginge auch so, dass es sich abbaut?
! Ja, wenn man zum Beispiel Roica verwendet. Das baut sich perfekt biologisch ab. Das heißt, den Unterschied macht ein Elastan, das sich biologisch abbaut oder eines, was sich nicht abbaut.
? Aber das kann ich als Käufer nicht wissen. Da steht meist nur so und so viel Prozent Elastan.
! Ja klar, selbst wenn da manchmal auch Lycra draufsteht, denke ich doch: Ist ja schön, ein Baumwollprodukt. Ist es aber tatsächlich nicht.
Papierplastik
Es gibt viele solche Dinge. Es werden zum Beispiel Tücher verwendet zum Abwischen von Oberflächen oder Toiletten-Feuchttücher oder Tempotaschentücher. Dann wundert man sich, dass die jahrelang in der Landschaft herumliegen. Ich habe das gemessen mit meinen Studenten in Wien. Auf 2000 Metern Höhe bleibt so ein Papiertaschentuch etwa achtzehn Jahre liegen, weil es nämlich gar kein Papiertaschentuch ist. Es ist ein Taschentuch, was eine Antihaft-Überschicht hat, oder − je nachdem, wie es verwendet wird − einen Nassfestigkeitsstabilisator. Damit das nicht zerfleddert, wenn es nass wird. Und nach achtzehn Jahren ist dann zwar der Zellulosekern dieses Taschentuchs abgebaut, aber das Mikroplastik bleibt über. In diesem Fall ist es ein Epichlorhydrin-Polymer, was da verwendet wird.
Durch diese Tücher haben zum Beispiel in Hamburg die Wasserwerke Millionenaufwendungen, weil die Rohrleitungen verstopfen. Die Menschen spülen diese Kosmetiktücher einfach in der Toilette runter oder die Papiertaschentücher, aber die zersetzen sich dann nicht und verstopfen die Leitungen.
? Geht das auch ohne Plastik?
! Es gibt Nassfestigkeitsstabilisatoren, die auf Stärke basieren, bei denen ich sogar einstellen kann, ob der Abbau in drei Minuten, in fünf Minuten, in einer Stunde, in einem Tag sein soll.
Schuhplastik
Es geht nur darum, dass man am Anfang, vor der Produktion, andere Anforderungen an das Produkt stellt. Wir können auch Schuhsohlen machen, die sich perfekt biologisch abbauen. Es ist nur eine Frage des Willens. Wenn eine Firma, die 15.000 Schuhläden in Europa betreibt, sagen würde: Wir wollen ab morgen nur noch Schuhe verkaufen, deren Abrieb biologisch abbaubar ist, dann könnte man das ändern. Die Möglichkeit gibt es!
? Ich trage Barfußschuhe mit Kautschuksohle. Was ist da drin? Das ist doch ein Naturprodukt, oder?
! Natürlich ist der Latex-Gummi zunächst ein Naturprodukt, aber ich muss das vulkanisieren, also vernetzen, und dann baut es sich nicht ab. So wie ein Fahrradreifen oder ein Autoreifen zunächst mal auch ein Naturprodukt ist. Obwohl 470 andere Chemikalien noch dafür verwendet werden, ist der Hauptteil natürlich ein Naturprodukt. Aber das ist die gleiche Logik, als wenn ich sagen würde: Ich fahre mit Benzin und Benzin kommt aus der Natur, das ist ja ein Erdölprodukt. Nein, es baut sich so nicht biologisch ab, in keinem Fall.
Was die Schuhe angeht, müssten wir jetzt aus Protest einfach mal eine Woche lang barfuß laufen und sagen: Wir kaufen keine Schuhe mehr, bis tatsächlich der Schuhabrieb so ist, dass er in biologische Kreisläufe geht.
Aber selbst Proteste setzen Mikroplastik frei. Die Farbe, mit der die Leute von Fridays for Future ihre Plakate malen, wenn sie für das 1,5-Grad-Ziel auf die Straße gehen: das ist Mikroplastik. Das reibt sich ab.
Alles ohne?
? Gäbe es denn für all das Substanzen, die man nutzen könnte, ohne Mikroplastik in die Welt zu verteilen? Könnten wir es anders machen?
! Es gibt Alternativen − zum Beispiel Antihaftbeschichtungen für Oberflächen. Die aber bedeuten, dass eine Bratpfanne viel teurer werden würde. Ich müsste dann ein anderes Geschäftsmodell fahren. Wenn so eine Pfanne zweihundert Euro kostet, dann will oder kann der Kunde sie vielleicht nicht kaufen. Aber er könnte ein Pfannenabo kaufen: Er kauft einfach nur zehn Jahre Verwendung dieser Pfanne. Dann bleibt der Hersteller praktisch der Eigentümer.
Manche Dinge wären dann zunächst mal teurer, aber insgesamt viel billiger, weil sie dann viel länger ihren Zweck erfüllen. So eine Antihaftbeschichtung in einer normalen Teflonpfanne ist nach fünfzig Mal ziemlich kaputt und durchgescheuert und ich habe sie dann mitgegessen. Mit meinem Steak zum Beispiel oder auch mit dem Tofubratling, der dann voll mit Mikroplastik ist.
Im Prinzip ist es so: Ich kann die Intelligenz genau darauf einsetzen, dass eben zusätzliche Eigenschaften entstehen. Und das ist nicht teurer. Die Produkte, die wir zusammen mit den Herstellern entwickeln, sind im Durchschnitt etwa zwanzig Prozent kostengünstiger, weil ich den Filter praktisch am Anfang habe – im Kopf.
Wir fertigen zum Beispiel in Bangladesch mit einem großen Textilbetrieb T-Shirts und Schlafanzüge und Bettwäsche. Und das Abwasser ist dabei so sauber, dass es keine Kläranlage braucht. Die Leute brauchen keinen Arbeitsschutz, weil der Filter zuvor im Kopf war und nicht am Schluss in einer Kläranlage. Das Wasser kann direkt in die Bewässerung gehen, das ist viel kostengünstiger und die Leute können unter tropischen Bedingungen im T-Shirt und mit Flipflops arbeiten und brauchen keine teure Schutzkleidung.
? Und wo kann ich diese T-Shirts kaufen?
! Die gibt es bei Discountern. Ich möchte jetzt nicht Werbung dafür machen, weil ich das mit den Leuten auch nicht besprochen habe, aber die findet man mit einem Cradle-to-Cradle-Zeichen bei den größten Discountern, weil sie einfach kostengünstiger sind.
Aber es gibt da auch Leute, wie zum Beispiel den Chefeinkäufer eines solchen Unternehmens. Dem habe ich den Unterschied zwischen Roica und Lycra erklärt, und der hat sich ans Telefon gesetzt und hat gesagt: Ab morgen werden wir nur noch Elastan verwenden, was sich biologisch abbaut. Also die Einzelnen können durchaus etwas machen, wenn sie etwas ändern wollen.
Und die Anforderung ist doch ganz einfach: Ich muss fragen, wenn es in die Umwelt kommt, ist das, was sich abreibt, für die anderen Lebewesen nützlich. Ich freue mich doch sogar über einen biologisch abbaubaren Kunststoff, der sich abreibt. Daran können sich Algen, Pilze, Bakterien anlagern. Die haben dann was zu fressen. Und dann können die kleinen Krebse diesen Plankton aufnehmen und dieser Plankton reichert dann die Artenvielfalt an.
Also ich feiere den menschlichen Fußabdruck! Ich möchte ihn nicht minimieren. Ich möchte, dass unser Fußabdruck ein großes Feuchtgebiet wird. Wir sind viel zu viele Menschen, als dass wir ein bisschen weniger schädlich sein könnten. Und das Mikroplastik Problem entsteht vor allem auch dadurch, dass Leute versuchen, das Bestehende etwas weniger schädlich zu machen. Dadurch, dass der Reifenabrieb jetzt viel feinteiliger ist, weil die Reifen viel länger halten, ist er umso gefährlicher für die Umwelt, weil er jetzt eingeatmet wird und in unser Gehirn gelangt. Und überall in allen Dingen, die uns umgeben, findet sich inzwischen Reifenabrieb.
Das Mikroplastik in mir
? Hier geht es jetzt nicht nur allgemein um uns, sondern um unseren Körper. Mein Körper ist mir natürlich näher als der eines Fisches oder einer Kuh. Also: Was macht das Mikroplastik mit uns?
! Mikroplastik wird in unserem Körper so lange transportiert, bis es ein kleines Blutgefäß findet, durch das es nicht mehr hindurchpasst. Das führt dann zu Entzündungen an der Stelle, wo dieses Mikroplastik hängen bleibt. Und die Zelle versucht, sich dagegen zu wehren, indem sie verkalkt. Und dadurch wird die Wahrscheinlichkeit, an einem Schlaganfall zu erkranken, durch Mikroplastik deutlich größer. Wir altern einfach viel schneller und unnötigerweise.
Ein typisches Beispiel: Eine Quelle von Mikroplastik, die immer noch unterschätzt wird, sind Laserdrucker. Der Tonerstaub ist nichts anderes als Plastik mit einem Metallkern. Eine kleine Harpune, die meine Zelle durchschneidet, wenn sie eingeatmet wird. Ein Laserdrucker produziert zwei Milliarden Mikroplastikteile pro Druckseite. Die Leute versiegeln jetzt ihre Gebäude, machen sie gasdicht, haben dann aber den Homeoffice-Arbeitsplatz im Schlafzimmer.
Ich habe die Obduktion von einem 44-jährigen Mann mitmachen müssen, der einen Laserdrucker zu Hause hatte. Im Schlafzimmer links der Laserdrucker, in der Mitte der Arbeitsplatz, rechts die Ablage. Er hatte in jeder Körperzelle Mikroplastik, überall Tonerstaub bis in den kleinen Zeh. Und er hat drei kleine Kinder und ist mit 44 Jahren an einem Schlaganfall gestorben. Das heißt, wir erhöhen einfach die Wahrscheinlichkeiten, dass unsere Zellen da nicht mehr mitmachen können und dass wir dann deshalb früher erkranken.
? Deshalb sagen die Ärzte, dass die Schlaganfallpatienten immer jünger werden?
! Wir haben dazu keine statistische Auswertung. Aber es müsste doch so sein wie bei sexueller Belästigung: Ich habe doch ein Recht darauf, nicht von Tonerstaub belästigt zu werden. Und das ist chemische Belästigung.
Das heißt, dass man als erstes Laserdrucker aus der Wohnung herausnimmt und vom Arbeitsplatz weg. Wenn man das nicht gleich schafft, dann kann man inzwischen Filter dafür einsetzen. Es gibt von großen Firmen inzwischen Filter. Wenn man die nach einem halben Jahr entfernt, dann weiß man, was man sonst alles eingeatmet hätte. Manchmal kann man ja vielleicht so einen großen Drucker auf dem Flur auch nicht sofort ersetzen, dennoch müssen wir ja diesen Staub nicht einatmen.
Die Mikroplastik-Gehalte, die wir im Körper haben, führen bei vergleichbaren anderen Lebewesen durchaus zu Verhaltensänderungen. Im Moment schützt uns offensichtlich noch unsere größere Gehirnmasse. Aber das ist ein Spiel mit der Zeit und es ist ein Menschenversuch.
Wir könnten jetzt wirklich anders handeln, indem wir das Mikroplastik-Problem wirklich angehen und alle Dinge, die verschleißen, so machen, dass sie in biologische Systeme zurückgehen. Die Kenntnis dafür ist da.
Bis hierhin das Gespräch mit Michael Braungart zum allgegenwärtigen Mikroplastik, das wir immer weiter und weiter verbreiten. Jede und jeder von uns – alltäglich.
Wir wissen, wie es anders geht, aber wir machen es nicht. Wir gehen immer den Weg des geringsten Widerstands, handeln immer erst, wenn es zu spät ist. Das scheint eine menschliche Konstante zu sein. Wenn wir die nicht durchbrechen, wird es schwer mit unserer Zukunft.
Das könnte jetzt auch das Schlusswort zum Thema Klimawandel gewesen sein, oder zu Landwirtschaft und Ernährung, zu unserem Konsumverhalten allgemein. Für heute ist es das zum Thema Mikroplastik, das ein nicht endendes ist. Anders als dieser Blog – der endet hier.
Der nächste Blog und Podcast wie immer am ersten Donnerstag im Monat. Aber Achtung: Dieses Mal erst nach einer kurzen Sommerpause. Weiter geht es also am ersten Donnerstag im Oktober.