Anmerkungen zum Haushuhn

Hühneridyll auf dem Bauckhof in Klein-Süstedt: Eine Gruppe Legehennen mit ihrem Hahn im Schutz einer Pappelplantage. Leider leben so die wenigsten unserer Eierproduzentinnen. | Foto: Florian Schwinn

Was war zuerst – die Henne oder das Ei? Wie kam der Mensch auf das Huhn, wie das Huhn zum Menschen? Wieso legen heutige Legehennen fast jeden Tag ein Ei? Und: Wieso ist Ostern eigentlich ein Eierfest? Viele Hühnerfragen, viele Eierfragen. Dazu die durch den Krieg in der Ukraine aktuellen: Wieso gibt es jetzt weniger Bio-Hühner und weshalb sind die Eier so teuer geworden?

„Anmerkungen zum Haushuhn“ habe ich diesen Blog und den zugehörigen Podcast überschrieben. Und mehr soll das auch nicht sein. Keine wissenschaftliche Arbeit. Nur eine Ergänzung zu all dem, was ich im Blog und im Podcast schon zu Hühnern gesagt habe. Vor zwei Jahren hieß eine ganze Serie von Beiträgen schon einmal genauso. Wer damals schon mitgelesen hat, sehe mir Wiederholungen nach. Die Zeiten haben sich geändert, auch für die Hühner, so dass ich jetzt gerne nochmal nachlege: Ein paar Anmerkungen also in Eierzeiten – über ein vielfach verkanntes, millionenfach ausgebeutetes Tier, das nur eines ganz sicher nicht ist: dumm.

Freiland hühnerfrei

Das Huhn ist einerseits das am meisten industrialisierte Nutztier überhaupt. In den großen Ställen befördern Rohrleitungen das Futter bis vor die Schnäbel und in der Gegenrichtung Fließbänder die Eier direkt vom Bürzel weg aus den Legenestern zu den Sortierstationen. Andererseits ist das Haushuhn eines der am wenigsten domestizierten Nutztiere. Das Verhalten unserer Hühner gleicht immer noch sehr dem ihrer Vorfahren in der Natur.

Hühner sind schreckhaft und fliehen schnell, Fluchttiere eben, die viele Feinde haben. Selbst in großen landwirtschaftlichen Hühnerhöfen finden die Füchse noch Löcher im Zaun und vor allem da fliegen gerne die Habichte. Deshalb verlassen die meisten Hühner ihre Ställe langsam und vorsichtig, die Hennen am liebsten erst dann, wenn der Hahn schon draußen ist. Der ist für die Sicherung des Luftraums zuständig und sollte auch vor potenziellen Fressfeinden am Boden warnen, die es im Hühnerhof möglichst gar nicht gibt.

Die Vorfahren unserer Haushühner sind Bewohner von lichten Regenwäldern in Süd- und Südostasien und bevorzugen dort die Waldränder und Ränder von Lichtungen als Lebensraum. Sie haben gerne Schutz über sich und Äste in Reichweite, auf die sie sich flüchten können, wenn Feinde von unten nahen. Entsprechend braucht jedes Freigehege Schutzzonen. Sonst steht auf den Kartons zwar drauf, dass die Eier von Hühnern aus Freilandhaltung stammen. Nur wenn die Hähne und der Sichtschutz fehlen, waren diese Hühner vielleicht nie draußen.

  Deshalb: Wer Bio- oder Freilandeier kauft, prüfe zuvor, ob den Hühnern mehr als eine kahle Wiese zur Verfügung steht. Und übrigens: Wenn die Wiese um die Hühnerställe jederzeit schön grün ist, waren dort auch nie Hühner. Deren liebste Beschäftigung draußen ist nämlich das Scharren. Eine große Hühnerschar verwandelt jede Wiese in kurzer Zeit in grasfreien Boden, versehen mit deutlichen Kuhlen vom Sandbaden. Deshalb gibt es die Mobilställe, die dann auf Kufen oder Rädern weiter gezogen werden zur nächsten intakten Grasnarbe, die auf die Hühnerkrallen wartet.

Die „empfindsamen Damen“, wie Carsten Bauck die Hennen aus der Ökologischen Tierzucht nennt. Die Rückkehr des Zweinutzungshuhns in die Geflügelhaltung ist nicht einfach. | Foto: Daniel Schewe

Empfindsame Damen

Wobei Huhn nicht gleich Huhn ist und die Feststellung, dass unsere Haushühner noch viel ihres ursprünglich wilden Verhaltens zeigen, auf die Hybridhühner aus industrieller Zucht nicht mehr ganz zutrifft. Die Zuchtkonzerne haben es schon geschafft, den Tieren manches abzugewöhnen. So sind die weltweit am meisten verbreiteten Legehennen von Lohmann Tierzucht aus Cuxhaven am wenigsten schreckhaft. Sie lassen sich kaum aus der Ruhe bringen und legen stoisch fast jeden Tag ein Ei; wenn sie im Stall mit Kunstlicht um den Sonnenstand betrogen werden, sogar im Winter. So gelassen sind aber eben nur die genetisch aufs Eierlegen getrimmten Hochleistungshennen.

Wenn man wieder Hühner haben will, die mehr können als „nur“ Eierlegen, bei denen am Ende des Lebens noch ein Suppenhuhn übrig ist, dann kommt rasch auch wieder mehr schreckhaftes Hühnerverhalten zum Vorschein. Das beschreiben die Halter von Legehennen, die weg wollen vom Hybridhuhn, dessen Bruderhahn die Aufzucht nicht lohnt, weshalb er bis vor kurzem noch millionenfach umgebracht wurde.

Seit Jahren ist die von Demeter und Bioland gegründete Ökologische Tierzucht ÖTZ nun schon dabei, das moderne Zweinutzungs-Huhn zu züchten, bei dem die Hennen möglichst viele Eier legen und die Hähne dennoch mit vertretbarem Aufwand gemästet werden können. Bei den Biobauern, die es wirklich wissen wollen, leben jetzt die ersten ÖTZ-Hennen. „Und wir müssen nun wieder lernen, wie empfindsam und empfindlich unsere Damen eigentlich sind“, berichtet Carsten Bauck vom Bauckhof in Klein-Süstedt bei Uelzen.

Bruderhahn

Carsten Bauck hat 2012 die Bruderhahn-Initiative gegründet und schon davor angefangen, auch die angeblich wertlosen Brüder der Legehennen aufzuziehen. Eigentlich aber ist die Aufzucht der Bruderhähne nur eine Notlösung, die das Zwei-Nutzungs-Huhn ablösen soll.

Immerhin hat die Initiative, die inzwischen Brudertier-Initiative heißt, weil sie sich auch um die Brüder der Milchkühe kümmert, mit dafür gesorgt, dass es in Deutschland nun verboten ist, die männlichen Küken direkt nach dem Schlupf zu töten. Das ist bis zum Jahr 2022 jedes Jahr bis zu fünfzig Millionen Mal geschehen, allein in Deutschland.

Das Tierschutzgesetz verbietet das Töten von Tieren ohne Grund. Sie essen zu wollen, gilt als Grund, sie wegwerfen zu wollen eigentlich nicht. Viele Jahre haben deutsche Gerichte aber die fehlende Wirtschaftlichkeit der Aufzucht der männlichen Küken aus den Legehennenlinien als Tötungsgrund anerkannt. Obwohl dieser Grund in einem teuren und aufwendigen Verfahren von der Industrie selbst hergestellt worden war.

Viele Generationen lang haben die Geflügelzuchtkonzerne ihre Hybridhühner aufs Eierlegen getrimmt. So sehr, dass die Hochleistungslegehenne das meiste Futter, das sie zu sich nimmt, in die Produktion der Eier steckt. Um mal das Extrem zu nehmen: Eine Hochleistungshenne der Linie „Lohmann Selected Leghorn Ultra Lite“ frisst täglich höchstens 110 Gramm Futter und legt dafür ein 60 Gramm schweres Ei. Die Hennen, die Lohmann für die Biobetriebe züchtet, brauchen etwas mehr Futter für sich selbst, legen aber auch über dreihundert Eier im Jahr. Und ihre Brüder werden ebenfalls nicht groß und stark.

Jetzt werden die „deutschen“ Bruderhähne aufgezogen, nur das meist nicht bei uns, weshalb die Konserven mit dem Hühnerfrikassee gerne aus dem Ausland kommen. Die zweite Möglichkeit, sie loszuwerden, ist die mit Fördermillionen entwickelte In-Ovo-Analytik, mit der die männlichen Küken vor dem Schlupf im Ei entdeckt, und dann schon als Embryo getötet werden. Diese staatlich geförderte Abtreibung machen die Bioverbände nicht mit, weshalb sie beschlossen haben, die Bruderhähne aufzuziehen.

Volles Pfund – keine Kompromisse! So bewirbt der Bauckhof die neue Art des Eierverkaufs: Wie gelegt, so verpackt. Eier nicht mehr nach industriellen Normgrößen sortiert. Und nicht mehr als Billigware. | Foto: Florian Schwinn

Neues Huhn – neues Ei

Bis dann Huhn und Hahn aus der Ökologischen Tierzucht soweit sind, dass sie tatsächlich auch im Markt eingeführt wurden. Was übrigens die Eier noch einmal teurer machen wird. „Unsere Kundinnen und Kunden müssen jetzt umdenken. Das Ei als billiges Lebensmittel – das war mal“, sagt Carsten Bauck, „der Bart ist ab!“ Der Bauckhof versucht es mit einem Karton, in dem ein Pfund Eier gehandelt werden. Unterschiedlich in Schalenfarbe und Eigröße, wie gelegt, so verpackt – eben nicht mehr industriell genormt.

Als der neue Eierkarton gerade fertig war, begann Putin den offenen Krieg in der Ukraine, die Energie- und die Lebensmittelpreise stiegen, und die Verbraucherinnen und Verbraucher liefen zum Discounter. Schlechte Zeiten für neue Hühner.

Und schlechte Zeiten auch für Hühnerhalter. Zumal die Ukraine auch ein wichtiger Lieferant für Biofuttermittel war. Der Sonnenblumenpresskuchen zum Beispiel fehlte. Der ist ein Abfallprodukt der Ölproduktion, bei der die Ukraine führend war. In der Folge entschieden viele Geflügelbetriebe, erst einmal keine neuen Legehennen mehr aufzustallen, oder wenigstens einige Ställe leer stehen zu lassen.

Ostereier

Der Brauch mit den Eiern zu Ostern stammt aus einer Zeit, als das Ei noch keine stets zur Verfügung stehende Speise für landferne Städter war und auch nicht das ganze Jahr über in Mehlspeisen und Torten landete. Wer in alte Backbücher schaut, wird bemerken, dass das Weihnachtsgebäck stets ohne Eier auskommen musste. Der Grund ist schlicht: Es gab keine Eier in der dunklen Jahreszeit, die Hühner legten nicht. Warum sollten sie auch? Küken aufziehen im Winter ist eine Idee für Pinguine.

Dass der Osterhase heute Eier bringt – ein eigentlich unglaublicher Vorgang –, hat mit dem Glauben zu tun. Im Frühjahr gab es die ersten Eier mit etwas Glück zu Ostern, der christlichen Feier der Auferstehung Jesu. Die katholischen Priester färbten deshalb gekochte Eier als Symbole des Lebens rot ein, die Farbe wiederum Symbol für das Blut Christi, und verschenkten diese Eier zum Fest. Im 12. Jahrhundert führte die Kirche das Benedictum Ovorum ein, die Eiersegnung: „Segne, Herr, wir bitten dich, diese Eier, die du geschaffen hast, auf dass sie eine bekömmliche Nahrung für deine gläubigen Diener werden, die sie in Dankbarkeit und in Erinnerung an die Auferstehung des Herrn zu sich nehmen.“ Die Protestanten wollten auch gefärbte Eier und erfanden sich das Osternest samt Suchaktion für Kinder und Osterhase.

Wintereier

Alles das stand aber noch in direktem Zusammenhang mit dem natürlichen Lebensrhythmus der eierlegenden Haushühner. Erst als dann die Legehenne zunehmend industrialisiert wurde, konnte mit künstlichem Licht in den Ställen der Natur ein Schnippchen geschlagen werden. Jetzt gab es auch im Winter Eier – und die Konsumentinnen und Konsumenten griffen zu. Heute werden die meisten Eier im Winter verkauft und das Bewusstsein für die Künstlichkeit dieses Angebots hat sich aus den meisten Konsumentenköpfen wohl vollständig verflüchtigt.

Entsprechend kann keiner der Legehennenhalter mit seinen Hühnern wieder zurück zur Natur. Wenn die Konsumgewohnheiten der Menschen den natürlichen Abläufen zuwiderlaufen, müssen halt die Tiere, die die Lebensmittel liefern, dem Markt angepasst werden. Wir wollen im Winter Eier kaufen, also brauchen die Legehennenbetriebe im Winter viel Strom, um ihren Hennen Sommer vorzugaukeln. Außerdem wird die Einstallung so geplant, dass die Zeit, in der die Hennen die meisten Eier ihres kurzen Lebens legen, genau zwischen Weihnachten und Ostern fällt. Dann, wenn die Hennen nach der Uhr der Natur die meisten Eier legen würden – im späten Frühjahr und frühen Sommer, sind die Menschen eiersatt. Ostern liegt hinter ihnen und die Frühjahrsdiät funktioniert ohne Ei. Zu viele Eier sollen ja auch gar nicht so gesund sein …

Bevor ich jetzt aber anfange, noch rasch die Cholesterin-Lüge zu entlarven, dann lieber doch noch achttausend Jahre Hühnergeschichte im Schnelldurchgang.

Hühnerhistorie

Nicht nur wildfarben, sondern richtig wild: Einer der Väter unserer Haushühner – ein Bankivahahn im Regenwald Südostasiens. | Foto: Jason Thompson

Also: Wie kam das Huhn eigentlich zu uns und woher? Wie wurde aus den wilden Bewohnern der Regen- und Mangrovenwälder Südasiens und Südostasiens unser Haushuhn?

  Angefangen hat die Geschichte des Haushuhns vor jenen etwa achttausend Jahren. Damals nahmen die Menschen in China und Indien die an den Waldrändern lebenden wilden Hühner zu sich und begannen alsbald, mit ihnen zu handeln. Zu uns kamen die Hühner dann ganz langsam über die ganz alten Handelswege. Sie flogen nicht selbst, sie wurden gebracht.

Lange galt nur eine der vier wilden Kammhuhnarten aus Asien als Urahn all unserer Haushühner. Allein das Bankivahuhn, Gallus gallus, sollte die Stammform von Gallus gallus domestica sein, dem Haushuhn. Die Annahme ist verständlich, denn die Bankivahähne haben sehr viel Ähnlichkeit mit einigen unserer alten Hühnerrassen. Die Hähne der Sulmtaler, Altsteirer, Italiener zum Beispiel tragen die für die Bankivahähne typischen großen, blutroten, gezahnten Kämme und Kehllappen, die goldfarbenen Halsfedern, die blaugrün schimmernden Schwingen und die metallisch glänzenden, schwarzgrünen Schwanzfedern. Die Geflügelzüchter nennen sie deshalb auch wildfarben. Die Hennen der Bankivahühner hingegen sehen viel schlichter aus als die meisten Hennen unserer alten Hühnerrassen. Da scheinen die Züchter im Laufe der vergangenen acht Jahrtausende einigen Gestaltungswillen investiert zu haben.

Auf der Suche nach dem Ursprung der verschiedenfarbigen Beine oder Ständer, wie die Geflügelzüchter sagen, fanden Genforscher dann einen weiteren Ahnen unserer Hühner: das indische Sonnerathuhn, Gallus sonneratii. Ohne dessen Gene hätten zum Beispiel die Bresse-Hühner keine blauen Ständer, und damit wäre das Blau-weiß-rot der Trikolore bei den französischen Nationalhühnern nicht komplett.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es noch eine zweite domestizierte Hühnerform bei uns gibt: das Perlhuhn. Das stammt nicht aus Asien und ist auch kein Kammhuhn. Perlhühner sind eine eigene afrikanische Hühnervogelfamilie, die Numididae. Eine der sechs Arten dieser biologischen Familie wurde domestiziert: das Helmperlhuhn, Numida meleagris. Portugiesische Seefahrer sollen es 1455 an der Guineaküste entdeckt und nach Europa gebracht haben. Ob schon von den Menschen dort domestiziert oder noch als Wildfang, das ist nicht geklärt.


So viel für heute zum Haushuhn. Mehr gibt’s zum Hören im Podcast.

Und wer selber Hühner halten möchte oder die vom Nachbarn besser verstehen, dem sei ein Buch zweier Hühnerbegeisterter empfohlen: Antje Krauses und Wilhelm Bauers „Warum Hühner scharren, nicken & picken“.