Die Klima Kuh / Teil 2

Halboffene Weidelandschaft im Spätherbst, geschaffen von den Heckrindern, die ganzjährig draußen leben – im Projekt Wilde Rinder Weiden an der Erft bei Neuss | Foto: Frank Vowinkel

Auch hier die Warnung wieder vorab: Vorsicht, hier handelt es sich um Eigenwerbung! Es geht um mein jüngstes Buch „Die Klima Kuh“. In diesem zweiten Teil geht es darum, wie die Kuh als Landschaftsarchitektin und Retterin einer ursprünglichen mitteleuropäischen Naturlandschaft wirken kann.

Gemeint ist damit eine Landschaft, wie sie hier bei uns im heutigen Deutschland und in weiten Teilen Mitteleuropas vorzufinden war, bevor unsere Vorfahren mit der Landwirtschaft begonnen haben. Und es geht darum, dass wir diese Landschaft und ihre ursprüngliche Artenvielfalt heute nur erhalten oder wieder herstellen können, wenn wir Tiere halten und diese Tiere auch weiden las-sen. Es geht um die Wiederherstellung der Landschaft, in die die Bäuerinnen und Bauern mit ihren Rindern, Schafen und Ziegen vor tausenden von Jahren hierher eingewandert sind. Ja, eingewandert: die Landwirtschaft hat einen Migrationshintergrund. Sie wurde im Nahen Osten erfunden.

Migrant Landwirtschaft

Wie sah also die Landschaft aus, die die Bäuerinnen und Bauern hier vorfanden, als sie auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten nach Norden zogen? Und warum hatten sie sich überhaupt auf den Weg gemacht ins Unbekannte?

Vielleicht die Antwort auf die zweite Frage zuerst, denn ich will ja nicht ausgerechnet die Frage auslassen, die in der heutigen Migrationsdiskussion auch gerne ausgeblendet wird: Weshalb machen sich Menschen auf den Weg?

Das kann die jüngere Erforschung der ersten von Menschen gebauten Stadt klären. Das ist die Stadt Çatalhöyük, auf einem Siedlungshügel im heutigen Anatolien gelegen, am Rande des sogenannten Fruchtbaren Halbmonds, einer damals fruchtbaren Region, die sich sichelförmig von Ägypten über Syrien bis an den Golf zog.

In Çatalhöyük waren die Menschen sesshaft geworden und hatten mit der Viehzucht und dem Ackerbau angefangen. Sie produzierten plötzlich Nahrung im Überfluss. Und die führte zu Nachwuchs im Überfluss, und der zu Siedlungsdruck und Streitereien. Je länger die Menschen in Çatalhöyük lebten, desto öfter sind sie an Gewalttaten gestorben. Viele der Toten aus der späteren Besiedlungsgeschichte weisen Löcher und Frakturen am Hinterkopf auf. Bevor mich aber mein Nachbar hinterrücks erschlägt, packe ich doch lieber meine Sachen, lade sie meiner Kuh auf und begebe mich auf die Wanderschaft. Beladen auch mit Saatgut und dem neuen Wissen um die Landwirtschaft.

Rekonstruktion eines Innenraums aus Çatalhöyük, der ersten Stadt der Menschheit. In fast jedem Haus gab es Stieraltäre und Fruchtbarkeitssymbole. | Foto: Anadolu Museum Stipich Béla.

Migrant Wildtier

Aber was für eine Landschaft fanden die Migrantinnen und Migranten mit ihren Tieren nun vor, als sie in der ehemals von Eis bedeckten Region im Norden ankamen? Was sahen sie: den Wald vor lauter Bäumen nicht? Genau das! Sagt zumindest die Wissenschaft seit Generationen: Am Ende der sogenannten Sukzession stehe bei uns der Wald. Das habe ich im Biologieunterricht gelernt – und nach mir noch viele, auch im Studium.

Sukzession ist der natürliche Aufwuchs der Pflanzengesellschaften nach einem katastrophalen Ereignis, einer Eiszeit zum Beispiel. Und das Ende der Sukzession in Mitteleuropa sei der flächendeckende Hochwald, so sagt das die zugehörige Theorie. Nach dieser Theorie hat die Entwicklung der Pflanzengesellschaften also ein Ende – die sogenannte Klimax, das Endstadium. Und schon daran erkennt man, was die Theorie ist: Bullshit! Womit ich keinesfalls die Kuhfladen beleidigen will. Aber es ist einfach so, dass natürliche Entwicklung kein Endstadium hat. Das gibt es schlicht nicht, panta rhei – alles fließt.

Auch wenn man sich die Wildtiere anschaut, die bei uns leben, dann stellt man fest: Es kann hier früher keine flächendeckende Bewaldung gegeben haben, denn hier bei uns in Deutschland und in ganz Mitteleuropa leben hauptsächlich Steppentiere. Deshalb, sagt der Düsseldorfer Biologieprofessor Werner Kunz, der sich ganz dem Artenschutz verschrieben hat, darf man die Landschaft in Mitteleuropa nicht zuwuchern lassen, sondern muss sie offenhalten.

Aber der Reihe nach: Wieso sagt die herrschende Theorie von der pflanzlichen Sukzession, also die Abfolge der Besiedlung der kahlen Erde, die von den schmelzenden Eisschilden vor zwölftausend Jahren hinterlassen wurden, dass an deren Ende nach ein paar hundert Jahren flächendeckender Hochwald gestanden habe. Während die meisten Wildtiere, die heute noch bei uns leben, aus offenen Landschaften und Steppen stammen?

»Das liegt daran, dass die Klimaxtheorie so tut, als habe es hier nach der Eiszeit keine großen Pflanzenfresser mehr gegeben«, sagt der niederländische Biologe Frans Vera, Autor des Buches Weideökologie und Waldgeschichte. Wenn ganz Nordeuropa Wald gewesen wäre, wären unsere Wildtiere hier heute nicht Steppen- und Offenland-Arten. Die aber sind sämtlich zu uns eingewandert. Und das hätten sie nicht getan, wenn hier dunkle Wälder gewesen wären, in denen sie nicht überleben können.

Halboffene Weidelandschaft im hessischen Kinzigtal im zeitigen Frühjahr, bevor die Rinder kommen. Hier wird seit sechzig Jahren nur beweidet und nie gedüngt. Die Vielfalt ist schon im Bewuchs erkennbar. | Foto: Florian Schwinn

Tabula rasa

Die letzte Vereisung der Erde und damit auch Europas, kam nach einer längeren warmen Phase mit großer Heftigkeit und es wurde noch einmal richtig lange sehr kalt. Die Eisschilde des Nordens reichten bis zum heutigen Berlin, die Permafrostgrenze ging bis zum Schwarzen Meer. Diese Kaltzeit räumte auf mit der Tierwelt. Am Ende gab es die großen Tiere der Warmzeiten nicht mehr, keine Waldelefanten, keine Waldnashörner, aber auch die Steppentiere der Kaltzeiten, wie Mammut und Wollnashorn, starben aus.

Nun konnten die Tiere aus anderen Regionen einwandern, die nicht so stark von der Vereisung betroffen waren. »Die sind eingewandert in ein leeres Gebiet«, sagt Werner Kunz, »sie konnten sich ungehindert ausbreiten, weil es in Mitteleuropa gar keine Futterkonkurrenten mehr für sie gab.« Und weil die Einwanderer aus den Steppen des Ostens und dem Offenland des Mittelmeerraumes kamen, leben heute in Mitteleuropa nur ganz wenige Arten, die ursprünglich Mitteleuropäer sind, also die hier entstanden sind, sich hier entwickelt haben.

Zu den Einwanderern gehörten durchaus auch große Pflanzenfresser. Nicht ganz so große wie die Mammuts, aber durchaus in der Lage, einen durchgängigen Aufwuchs von Wäldern zu verhindern: Wisente, Auerochsen, Rothirsche, Rehe, Rentiere, und die in Herden, die in die Tausende zählten. Das sind übrigens allesamt Tiere der Steppen und offenen oder halboffenen Weidelandschaften. Dass wir Hirsche und Rehe heute mit dem Wald assoziieren, hat damit zu tun, dass wir sie dorthin vertrieben haben.

Aber auch die kleinen Bewohner Mitteleuropas sind zumeist Migranten aus Offenland und Steppengebieten. Werner Kunz hat das an den Tagfaltern des Flachlandes untersucht. Da gibt es bei den heute in Mitteleuropa lebenden Arten keinen einzigen ohne Migrationshintergrund – und auch keinen einzigen, der im dunklen Wald überleben könnte. Selbst die Arten, deren Namen wir mit dem Attribut Wald versehen haben, wie das Waldbrettspiel, Pararge aegeria,brauchen als Lebensraum offene, lichte Wälder mit besonnten Lichtungen und Säumen. Deshalb plädiert der Artenschützer auch dafür, die Waldweide wieder zuzulassen, nicht in allen Wäldern, aber wenigstens in einigen. »Die Waldweide würde uns ganz sicher auch den Waldzipfelfalter, Satyrium ilicis, wieder zurückbringen. Von dem gab es vor 30 Jahren im Saarland noch hundert Vorkommen. Heute sind es noch vier«, sagt Werner Kunz. »Der Falter braucht absolut offene, lichte Eichenwälder. Und die lassen sich eigentlich nur durch Beweidung wiederherstellen.«

Hier stirbt eine alte Hutewaldeiche, weil der Reinhardswald heute kein Hutewald mehr ist. Der Eiche fehlt das Licht, sie wird von schattentoleranten Konkurrentinnen überwuchert. | Foto: Michael Fiegle

Eingriffe in die Natur

Die Forstwissenschaft will von all diesen großen Pflanzenfressern im Wald aber nichts wissen. Schon gar nicht heute, und auch nicht in der Vergangenheit. »Wenn die Menschen Deutschland verließen, so würde dieses nach 100 Jahren ganz mit Holz bewachsen seyn«, schreibt Johann Heinrich Cotta, einer der Begründer der Forstwissenschaft, 1828 in die Vorrede seiner Anweisung zum Waldbau. Diese Auffassung ist bis heute die vorherrschende in der Wissenschaft.

Erst heute ist sie aber Realität geworden: Wenn wir Menschen nicht mehr eingreifen, wächst alles zu mit Wald. Das liegt allerdings daran, dass wir die Wildrinder ausgerottet, die Rentierherden und Elche vertrieben haben. Und vor allem daran, dass wir mit unseren Abgasen und den Ausdünstungen der landwirtschaftlichen Düngung die Luft mit Stickstoff so sehr angereichert haben, dass es selbst in entlegenen Gebieten Dünger regnet.

Werner Kunz erzählt von einem Studienmodul mit Exkursion, das er seit fünfzehn Jahren seinen Studenten anbietet. Die Exkursion führt in den ungarischen Nationalpark Bükk im karstigen Mittelgebirge im Nordosten Ungarns. Die flächendeckende Düngung aus der Luft hat den eigentlich nährstoffarmen Karst in den letzten fünfzehn Jahren aber so verwandelt, dass es im Nationalpark keine Schmetterlinge mehr gibt. »Vor ein paar Jahren noch haben wir dort an den Waldwegen auf vielen Blüten viele Tagfalter fotografieren können, die bei uns sehr selten geworden sind. Jetzt hat sich das Kronendach über den Wegen geschlossen, der Boden ist beschattet, da blüht nichts mehr.«

Womit klar ist, wie wir das Insektensterben aufhalten und die Biodiversität zurückholen können in die Landschaft: indem wir sie offenhalten. Das bedeutet allerdings einen aktiven Eingriff. Zum Beispiel, indem wir wieder Weidetiere in manche Wälder treiben.

Eingreifen für den Artenschutz, sagt Prof. Werner Kunz, nicht die Restnatur wuchern lassen, die wir noch haben. | Foto: privat

Der Naturschutz in Deutschland, und nicht nur hier, ist aber gerade ganz anders unterwegs. Das Bundesamt für Naturschutz und das Umweltministerium wollen fünf Prozent der Wälder ganz aus der Nutzung nehmen. Und da, wo ehemals beweidete Wälder Naturschutzgebiete oder Nationalparke geworden sind, darf nicht mehr beweidet werden. Der Reinhardswald in Hessen ist so ein Beispiel. Das war mal ein sogenannter Hutewald. Alte Unterlagen belegen, wie viele Schweine, Pferde, Schafe, Ziegen und Rinder dort weiden durften. Die Tiere haben dem Reinhardswald zu dem Artenreichtum verholfen, dessentwegen er dann unter Schutz gestellt wurde. Heute ist die Waldweide verboten – schon lange – und man kann beobachten, wie die alten Eichen dort vor sich hin sterben. Sie sind überwachsen von Buchen und Hainbuchen. Eichen brauchen aber Licht zum Leben. Das haben sie nun nicht mehr.

Wenn man die Naturschützer fragt, die das verantworten, warum sie dem Sterben der alten Pflanzengemeinschaften zuschauen, derentwegen doch das Gebiet überhaupt unter Schutz gestellt wurde, dann hört man immer wieder: Ja, das ist die Natur! »Nein, sagt der Biologe und Naturschützer Frans Vera: Das ist nicht die Natur, das ist eine ganz bestimmte Idee von Natur.«

Freilandversuch

Frans Vera war lange Zeit Naturschützer in Staatsdiensten, bevor er zur Landbauuniversität Wageningen wechselte. Als Chef der Abteilung für Naturentwicklung und Naturschutz im niederländischen Landwirtschaftsministerium konnte er in einem riesigen Feldversuch beweisen, dass die Sukzessionstheorie, wonach das Ende der natürlichen Entwicklung der Hochwald ist, von falschen Annahmen ausgeht. Die Theorie tut einfach so, als hätte es die großen Pflanzenfresser, die Megaherbivoren, nach der Eiszeit bei uns nicht mehr gegeben.

Nun hatte Frans Vera als Abteilungsleiter ein großes Versuchsgebiet geerbt, in dem eine natürliche Entwicklung nachvollzogen werden konnte: Oostvaardersplassen. 1968 hatten die Niederlande einen zunächst für die Ansiedlung von Öl- und Schwerindustrie gedachten neuen Polder quasi der Natur überlassen. Damals war am südöstlichen Rand des Ijsselmeeres eingedeicht worden, aber der tiefste Teil des dadurch entstandenen neuen Polders der Provinz Flevoland, viereinhalb Meter unter dem Meeresspiegel, wollte trotz dauernden Pumpens nicht trocken werden – also keine Industrieansiedlung, sondern Brache. Vom Flugzeug aus wurde das sechzig Quadratkilometer große Gebiet dann mit Schilfsamen bestreut, weil das Ried auch in der Lage ist, eine Sumpflandschaft trockener zu machen, und man dann die Pumpen abstellen kann.

Weidetiere unter sich in Oostvaardersplassen, inzwischen Teil eines Nationalparks: Im Vordergrund die Graugänse, im Hintergrund die Heckrindcer, dazwischen das Schilf und das Weideland, das sie gemeinsam gestalten. | Foto: Eva-Maria Kintzel

In kurzer Zeit entstand im tiefergelegenen nassen Teil des neuen Polders ein Schilfrohrsumpf, und auf dem höhergelegenen trockenen Gebiet breiteten sich Gräser aus. Im Sumpf siedelten sich dann sehr bald viele Vögel an, die genau solche Lebensräume brauchen: im Schilf Rohrdommeln, Rohrsänger, Bartmeisen, im offenen Flachwasser Löffler, Brachvögel, Uferschnepfen. »Es war eine ungeheure Vielfalt an Vögeln und Vogelarten«, sagt Frans Vera.

Aber es gab ein Problem: Alle beteiligten Naturschützer wussten nämlich, was nun passieren würde. Sie hatten ja ihre Sukzessionstheorie gelernt. Es würden sich Büsche ins Schilf ausbreiten, dann würden Bäume kommen – und am Ende hätte man dann einen Auwald. Auch sehr schön, aber kein Lebensraum mehr für all die Vögel des offenen Schilfsumpfes, die sich jetzt angesiedelt hatten. Mähen ist in solchen Fällen der Rat des Naturschutzes. Aber wie mähen ein unzugängliches Feuchtgebiet von vierzig Quadratkilometern Größe, mit welchen technischen und welchen finanziellen Mitteln? Der Naturschutz wollte Oostvaardersplassen aufgeben.

Aber dann kam die Rettung: aus der Luft. Die Graugänse hatten den Sumpf als idealen Mauserplatz entdeckt. Und sie kamen zu Zehntausenden. Im höher gelegene Grasland des Polders konnten sie sich vor und nach der Mauser Fettpolster anfressen, im Sumpf waren sie dann sicher vor Räubern. Sie mussten aber auch flugunfähig weiter satt werden – und fraßen deshalb das Schilf herunter. Sie grasten das Schilf weg und trugen so den Anfang der Sukzession immer aufs Neue in den Sumpf. Keine Verbuschung, kein Wald wuchs auf. Der Lebensraum der Schilfbewohner wuchs immer neu nach.

Allerdings begann das höhergelegene trockene Land zu verbuschen und zu verwalden. Das würde die Graugänse am Ende zum Verlassen des Gebietes zwingen, weil sie nach der Mauser eine nahegelegene Grasweide finden müssen, um sich rasch wieder mit mehr Proteinen zu versorgen, als im Schilf. Was tun, um die Verbuschung zu stoppen und das Land offenzuhalten. Frans Vera schlug vor, Weidetiere zu nutzen: Rinder, Pferde und Rothirsche.

Die natürliche Landschaft Mitteleuropas ist eine offene, zumindest halboffene Weidelandschaft – wiederherstellbar mit Weidetieren: Frans Vera. | Foto: WeeJeeVee

Nein, sagten seine Wissenschaftskollegen, das kannst du vergessen! Das wird alles Wald. »Das ist eine Theorie«, sagte Frans Vera, »wir haben eine andere. Dürfen wir bitte ausprobieren, welche zutrifft!« Das sollte eigentlich verhindert werden: »Das musst du nicht ausprobieren, die Wissenschaft weiß das: es wird alles Wald, riefen sie.« Frans Vera setzte sich durch, die Weidetiere kamen. »Und siehe: es wurde kein Wald. Es wurde Grasland!«

Weidelandschaften schaffen

Megaherbivoren-Hypothese heißt die Theorie, nach der die ersten Bäuerinnen und Bauern eben keinen geschlossenen Hochwald in Mitteleuropa vorfanden. Die Megaherbivoren, die großen Pflanzenfresser, hatten schon für Graslandschaften gesorgt. Die Verfechter der Klimaxtheorie, nach der die Sukzession der Pflanzengemeinschaften im Hochwald endet, führen dagegen an: In den Pollenanalysen aus der Jungsteinzeit, die die Paläobotaniker zum Beispiel aus tiefen Torflagen in Mooren holen, fänden sich nur Baumpollen und fast keine Pflanzen des Offenlandes.

Es finden sich in den Pollenanalysen aber regelmäßig die Spuren von Eichen. Dazu hat die Klimaxtheorie dann Mischwälder aus Eichen und Linden, oder Eichen und Buchen erfunden. Solche Wälder gibt es aber nicht. Diese Bäume können nebeneinander nur in offenen Landschaften existieren. Also muss es auch in der Jungsteinzeit vor zwölftausend Jahren in Mitteleuropa solche offenen Landschaften gegeben haben – Weidelandschaften eben, hergestellt von den großen Pflanzenfressern. Hort der Biodiversität und des Klimaschutzes, denn im Humus unter den Weiden ist der meiste Kohlenstoff gespeichert, nicht zuletzt durch den Dung der Tiere. Aber das habe ich ja schon im letzten Blog und im letzten Podcast dargestellt.

»Wenn wir nichts tun, wenn wir nicht eingreifen in die heutige Natur, dann schaffen wir geschlossene Dunkelwälder, und das sind Biotope, für die wir überhaupt nicht die Arten hier haben«, sagt Werner Kunz. Wir müssen uns von dem Mythos von der unberührten Natur verabschieden. So lautet auch der Untertitel des Fachbuches des Biologieprofessors, das für Artenschutz durch Habitatmanagement plädiert. Es ist ein Märchen, sagt er, dass alles gut würde, wenn man die Natur einfach nur machen ließe. Wie gesagt: In einer mit Stickstoffregen überdüngten Kulturlandschaft, aus der man die letzten wild lebenden größeren Pflanzenfresser ständig herausschießt. Die Natur, die da Natur sein soll, gibt es also gar nicht. Egal, die Idee lebt. Unser Bestseller-Förster Peter Wohlleben zum Beispiel plädiert dafür, dass man nichts tun soll – dass ein guter Naturschützer sei, wer die Hände in den Hosentaschen lässt.

Tiere pflanzen

Werner Kunz plädiert für den Eingriff und wünscht sich, dass Landwirte für den Artenschutz gewonnen werden. »Der Artenschützer der Zukunft ist der Landwirt. Dann nämlich, wenn er eine neue Fruchtfolge auf seinen Flächen pflegt. Hier baut er Zuckerrüben an, dort Weizen – und dort die Grauammer.«

Wie baut ein Landwirt bitte die Grauammer an? »Die Grauammer«, sagt Wikipedia, »bewohnt offene Landschaften mit einzelnen Bäumen oder Büschen und zumindest teilweise dichter Bodenvegetation, in Mitteleuropa vor allem extensiv genutztes Grünland, Ackerränder und Brachen.« Solch ein Habitat wäre für viele Landwirte vielleicht nicht ganz so schwer herstellbar. Eine Weide mit ein paar Bäumen, eine Brache mit ein paar Büschen am Rand. Werner Kunz hätte gerne in jedem landwirtschaftlichen Betrieb ein Biotop, eines das zur Landschaft und zur Landwirtschaft passt. Und er hat bei Bäuerinnen und Bauern dafür durchaus offene Ohren gefunden. »Natürlich müssen die Betriebe dafür bezahlt werden. Aber dafür gibt es genug Geld im Naturschutz«, sagt Werner Kunz.

Um die Biotope herzustellen und zu erhalten, die uns die verlorene Artenvielfalt zurückbringen in die Landschaft, müssen wir allerdings die Kühe wieder rauslassen aus den Ställen.

Und das bedeutet auch, dass es keine Abkehr von der Nutztierhaltung geben kann und dass eine zukunftsfähige Landwirtschaft nicht vegan ist. Was nicht heißt, dass nicht Veganerin oder Veganer werden sollte, wer das möchte. Nur sollte mit den Abfällen der veganen Lebensmittel auch etwas Sinnvolles geschehen. Sie können zum Beispiel Winterfutter für die Rinder sein. Vom Hafer landen nur fünfzehn Prozent im Haferdrink. Der Rest ist Viehfutter, so wie die Bauernmolkerei Hamfelder Hof das mit ihren Haferdrink vorführt. Das Gleiche gilt auch für Dinkeldrink und Sojadrink und Tofu.

Und die anderen Menschen, die nicht vegan leben wollen, die müssten dann das Fleisch von den extensiven Weiden oder die Milch von den Weidekühen verzehren. Beim Spaziergang auf dem Land können sie dann von sich sagen: Ich war es, der die Feldlerche herbeigegessen hat, die da gerade über mir singt.


Das Thema als Podcast.