Orangen ab Hof

Die beiden Früchte rechts im Bild dürften schon mal keine Chance haben, einen deutschen Supermarkt zu erreichen, ganz egal, wie sie schmecken: Flecken und Verfärbungen auf der Schale sind Ausschlusskriterien. | Foto: Hans / Pixabay

Wie kauft man eigentlich klimabewusst gesundes Obst ein, wenn es das bei uns gerade gar nicht gibt? Im zeitigen Frühjahr, wenn vom hiesigen Obst kaum die Blüten zu sehen sind. Wo bleibt dann das Mantra von den regionalen Lebensmitteln? Im Supermarkt und im Bioladen gibt es Äpfel aus regionalem Anbau. Die aber sind nun schon monatelang in technisch produzierter Kühlatmosphäre gelagert und tragen einen ähnlichen CO2-Rucksack wie die importierten.

Dazu habe ich hier im Blog schon einiges gesagt. Aber um Äpfel geht es wohl den wenigsten, die jetzt einkaufen. In der bei uns dunklen Jahreszeit sind die Früchte aus dem globalen Süden besonders gefragt. Was eigentlich passt, denn zumindest die Orangen und Avocados sind dann auch reif. Dennoch verkauft uns der Handel gerade jetzt unreife Früchte, die oft auch noch chemisch behandelt und unfair gehandelt sind. Das zumindest können wir ändern – durch direkten Einkauf bei den Bauernfamilien.

Hofladen weltweit

Direkt vom Hof in Griechenland oder Spanien, oder auch Afrika, in die Kiste und per Post zu uns? Das geht. Wir können bei den Bäuerinnen und Bauern im Süden kaufen und es kommt dann eine Kiste voller Orangen, Clementinen, Ananas oder Avocados, die tatsächlich für uns geerntet sind. Der große Unterschied für uns: Die Früchte sind unbehandelte Bioqualität und sie sind reif, wenn sie geerntet werden. Das schmeckt man. Der große Unterschied für die Bauern: Es gibt feste Abnehmer und feste Preise. Und sie müssen keine Früchte mehr wegwerfen, weil sie nicht nach Supermarkt aussehen. Das sichert Zukunft.

Begonnen hat das Ganze vor fast fünfzig Jahren. 1973 taten sich in der Schweiz die „Bananenfrauen“ zusammen, um im globalen Handel für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Warum kostet eine Kiste Bananen aus Übersee weniger als eine Kiste Schweizer Äpfel, hatten sie sich gefragt. In den 1980er Jahren gründeten sie die Arbeitsgemeinschaft Gerechter Bananenhandel – gebana. Etwa zur gleichen Zeit entstand in Deutschland aus der Solidaritätsbewegung, die die Revolution in Nicaragua unterstützte, die erste unabhängige Fairtrade-Organisation BanaFair. Auch da ging es um Bananen. Während sich BanaFair als Händler positionierte, der die Supermärkte mit fair gehandelten Bananen beliefert, hat sich gebana nach einigen Umwegen auf Direktvermarktung spezialisiert.

Über die Zürcher gebana AG können wir derzeit im deutschen Online-Shop direkt bei bäuerlichen Betrieben in Griechenland Clementinen, Orangen oder Grapefruits bestellen. Oder in der Türkei getrocknete Aprikosen, in Tunesien Datteln, in der Dominikanischen Republik Bananen, in Italien Tomaten-Passata. Alles bio, versteht sich. „Weltweit ab Hof“ ist das Motto von gebana.

Und der klimaschädliche Transport? Es kommt darauf an, wie man ihn organisiert. Wenn nicht geflogen wird und die Schiffe langsam fahren, sinkt der CO2-Rucksack beträchtlich. Das hat mir schon vor über zehn Jahren der Nachhaltigkeitsbeauftragte einer großen Kaffeemarke erklärt. Die charterte damals schon ganze Schiffe, damit sie bestimmen konnte, dass die Schiffe keine Terminware an Bord haben und langsamer fahren. Was zwei Drittel des Treibstoffs einspart.

Kunde nicht König

Wenn wir nun also im Winter und im zeitigen Frühjahr Südfrüchte kaufen wollen – was tun wir dann? Wir klicken im Online-Shop zum Beispiel auf Orangen, können dann wählen, wann sie geliefert werden sollen – und stellen fest: Oh, die haben wir gar nicht zum gewünschten Termin – sagen wir an Weihnachten. Die kommen frühestens im Januar.

Dass die Früchte am Baum anders aussehen, als die im Supermarkt „müsste eigentlich jeder wissen, der schon mal einen Apfelbaum gesehen hat”, sagt Sandra Dütschler. Und liefert die Früchte wie gewachsen. | Foto: privat

„Ja“, sagt Sandra Dütschler, die Kommunikationschefin von gebana in Zürich, „das liegt daran, dass die Früchte geerntet werden, wenn sie reif sind.“ Und dann erzählt sie eine Anekdote aus der Schweiz. Dort ist der Nikolaustag ein wichtiges Fest und die Verbraucherinnen und Verbraucher sind so konditioniert, dass es zu diesem Festtag unbedingt Clementinen geben muss. „Dann rufen sie an und fragen, wo ihre Clementinen bleiben. Die sind aber halt nicht jedes Jahr pünktlich zum Nikolaustag reif. Und das müssen die Konsumenten dann halt lernen. Wir sagen ja auch: Wir ändern die Regeln des Handels! Und eine dieser Regeln ist, dass eben nicht alles zu jeder Zeit verfügbar ist. Üblicherweise heißt es ja immer: Der Kunde ist König, und man macht alles, was der Kunde will. Wir sagen: Nein, die Natur ist Königin. Die Kundin kann gar nicht Königin sein, weil sie ja gar nicht weiß, wann in Griechenland die Clementinen oder die Orangen reif sind und wann sie also bei ihr sein können. Wir betrügen die Konsumenten aber auch nicht, indem wir ihnen unreife Früchte liefern.“

Wir Supermarktkunden sind allerdings anders erzogen. Wir können ab Herbst jederzeit angeblich frische Orangen kaufen, mit makelloser Schale in leuchtendem Orangegelb. Was die wenigsten von uns wissen: Wie diese Orangen zugerichtet wurden. Sie werden geerntet, wenn sie noch gar nicht reif sind, weil sich unreife Früchte ohne Zeitdruck transportieren lassen und sie in Klimakammern für den Einzelhandel passgenau nachgereift werden können. Zuerst werden sie nach Größe und Schönheit sortiert. Etwa ein Drittel der Ernte wird aussortiert, weil die Früchte nicht so aussehen, wie der Lebensmittelhandel das will. Nach der unsanften Behandlung in der Klimakammer werden noch einmal die aussortiert, die dadurch Schaden genommen haben. Und der Rest kommt dann in ein Seifenbad, wird mit Fungiziden gegen Pilzbefall behandelt und anschließend mit einer Wachsschicht versehen.

Wie gewachsen

Wer einmal Orangen am Baum gesehen hat, sollte wissen, dass die Orangen in der Realität anders aussehen als die im Supermarkt. Sie sind unterschiedlich groß, unterschiedlich gefärbt und haben auch mal Schrunden und Narben in der Haut. Natur eben. „Das müsste eigentlich jeder wissen, der schon mal einen Apfelbaum gesehen hat, der Früchte trägt. Die meisten von denen sehen auch ganz anders aus, als die Äpfel im Supermarkt“, sagt Sandra Dütschler. Wenn die gebana-Kiste kommt, dann befinden sich darin große und kleine Früchte in unterschiedlichen Formen und Farben. Das unterscheidet sie von den Südfrüchten im Supermarkt, am stärksten aber ist der Unterschied im Geschmack.

Für die Bäuerinnen und Bauern in den Plantagen des Südens bedeuten die makellos aussehenden Früchte in unseren Supermärkten noch mehr: Sie müssen bis zu einem Drittel ihrer Ernte entsorgen, weil sie den optischen Qualitätskriterien der Supermarktketten nicht genügen. Wo es keinen Zugang zu Saftherstellern gibt, bedeutet das Lebensmittelvernichtung direkt ab Baum.

Die direkt gehandelten Früchte sind dagegen reif geerntet und unbehandelt. Übrigens: „Kleine Orangen schmecken meiner Erfahrung nach süßer und besser als große,“ sagt die griechische Bäuerin Olga Aggelena in einem Film im gebana-Blog. Ich kann das bestätigen. In meiner ersten, im vorvergangenen Jahr direkt in Sizilien gekauften Kiste Orangen, waren auch die kleineren die besten. Wer nur im Supermarkt kauft, erfährt davon gar nichts.

Orangenstand anderswo: Vom Händler ausgesuchte Früchte in Marokko – und doch nicht alle ebenmäßig gleich groß und ohne Schrunden. | Foto: Rosana / Wikimedia

Die Kisten mit den Früchten kommen allerdings nicht ganz so direkt zu uns, wie das eigentlich sein könnte. Die Orangen, um bei denen zu bleiben, werden von den Bäuerinnen und Bauern in Griechenland reif geerntet und in Kisten gepackt, dann aber nicht direkt zur Post gebracht. „Das geht nicht, weil die Post auch in Europa noch nicht in der Lage ist, reife Früchte in angemessener Zeit zu transportieren“, sagt Sandra Dütschler. Also holt gebana die Kisten ab und transportiert sie in die Schweiz und nach Deutschland. Dort bekommen sie einen Deckel und einen Adressaufkleber und dann erst gehen sie zur Post.

Weltweite Direktvermarktung

Auch gebana hatte sich, wie die deutsche entwicklungspolitische Organisation BanaFair, zunächst als Händler versucht. Tatsächlich hatten es auch die Schweizer mit eigenen Fairtrade-Produkten in die Supermärkte geschafft. Sehr schnell aber mussten sie dann feststellen, dass die Anforderungen der Lebensmittelketten weder den Bauernfamilien im Süden noch deren Produkten gerecht werden. „Der Handel sagt uns immer, wenn er eine krumme Gurke neben eine gerade Gurke legt, bleibt die krumme im Regal liegen. Der Handel hat die Leute aber über Jahrzehnte so erzogen, dass alle glauben, nur gerade Gurken seien gute Gurken. Und Orangen sind immer orange und gleich groß und niemals klein und grün. Und weil die Kundinnen und Kunden so konditioniert wurden, sind tonnenweise Früchte unverkäuflich und werden weggeworfen“, sagt Sandra Dütschler: „Davon müssen wir wegkommen!“

Also hat die gebana AG im Süden Partner gesucht und, wo diese nicht zu finden waren, Tochterfirmen aufgebaut, die mit den Kleinbauern zusammenarbeiten: in Brasilien, in Burkina Faso, in Togo, in Benin. Die brasilianische Tochter ist 2010 fast pleite gegangen, weil die Bio-Soja der Kleinbauern mit Spuren des Insektizids Endosulfan belastet und deshalb unverkäuflich war. Das Pestizid, damals in Europa schon verboten, wurde von Bayer in Brasilien an die Großgrundbesitzer verkauft, die auf ihren Riesenfeldern gentechnisch veränderte Soja anbauen. Von dort gelangte das Gift über die Luft und den Regen zur Bio-Soja. „Chega!“ – Es reicht! So hieß die Protestaktion von gebana und den Kleinbauern, die dazu beitrug, dass der deutsche Chemiekonzern das Insektizid vom Markt nahm. Zwei Jahre später wurde es weltweit verboten.

Die gebana-Tochter in Burkina Faso gerät dann 2017 in Schieflage, weil die Mango-Ernte schlecht ausfällt und gleichzeitig Cashew knapp ist. Mit einer Crowdfunding-Aktion wurde die Firma gerettet. „Unsere Kunden haben uns Geld gegeben für Mango und Cashew, die wir erst fünf Jahre später liefern. Das war ein sogenanntes kreatives Finanzierungsinstrument, gewissermaßen lauter kleine Darlehen, die die Leute vergeben haben“, sagt Sandra Dütschler. Und weil das so gut geklappt hat, wird jetzt via Crowdfunding in Burkina Faso größer investiert. Weitere tausend Arbeitsplätze auf dem Land sollen aufgebaut und gesichert werden.

In der Krise ist uns klar geworden, erzählt Sandra Dütschler, „dass wir gerade an den Orten, wo es schwierig ist, Firmen aufbauen wollen, die irgendwann eigenständig wirtschaften. Arbeitsplätze müssen auch auf dem Land entstehen und die Kleinbauern müssen dadurch abgesichert werden, dass sie einen sicheren Zugang zum Markt bekommen. Unser Ziel ist nicht, dass die alle so klein belieben, wie sie jetzt sind. Viele Familien haben ja heute immer noch kaum mehr als einen Hektar Land. Davon können sie nicht leben. Es muss schon auch Entwicklung in die bäuerliche Landwirtschaft, aber sie soll kleinräumig bleiben und verschiedene Kulturen anbauen, weil wir gleichzeitig auch auf die Biodiversität achten.“ In Tunesien hat das übrigens schon geklappt mit der irgendwann eigenständig wirtschaftenden Firma. Die ehemalige gebana-Tochter dort ist inzwischen ein eigenständiger Handelspartner nicht nur von gebana.

Stolzer Post auf der Website der jungen Direktvermarktungsorganisation CrowdFarming aus Spanien, die inzwischen den ganzen Süden Europas abdeckt und auch Biobauern aus Mitteleuropa im Programm hat.

Faires Crowdfarming

Auch anderswo funktioniert die Idee der Direktvermarktung über die Grenzen hinweg. 2017 haben sich in Spanien ein paar Junglandwirtinnen und Junglandwirte zusammengetan und CrowdFarming gegründet. Das ist die Organisation, über die ich meine erste Orangenkiste direkt beim Produzenten gekauft habe. Die Organisation ist schnell gewachsen und hat ihr Netzwerk rasch über Spanien hinaus geknüpft und ein internationales Team aufgebaut. Heute werden Früchte aus dem ganzen Süden Europas vermittelt.

Im Jahr 2021 hat CrowdFarming seinen ersten „Wirkungs- und Transparenzbericht“ veröffentlicht. Darin ist auch zu lesen, dass das Unternehmen noch rote Zahlen schreibt, und auch, auf welche gewaltige Anzahl von Anrufen und Mails das Team in einem Jahr reagieren muss: 204.289 Mails und 33.000 Anrufe waren es 2021. Die Direktvermarktung von einer halben Million Obstkisten von über hundert Betrieben hat CrowdFarming innerhalb eines Jahres abgewickelt. Im Vergleich mit gebana ein kleines Unternehmen, aber die Idee der Direktvermarktung über die Grenzen hinaus hat deutlich Zuwachs.

Außerdem könnte sich CrowdFarming sogar das Etikett „regional“ anheften, wenn denn der europäische Binnenmarkt so definiert würde. Es ist ja nicht ausgemacht, was wir, was die Hersteller, was die Händler unter Regionalität verstehen. Die CO2-Bilanz der aus Spanien oder Süditalien herangekarrten Orangen dürfte besser sein, als die der über Monate gekühlt unter Sonderatmosphäre gelagerten Äpfel aus Deutschland. Immer den üblichen Energiemix zugrunde gelegt.

Noch eines haben die über Grenzen hinweg direkt Vermarktenden auf ihrer Seite: den fairen Preis. In einem Blog zum Thema „Finanzielle Transparenz“ schreibt Gonzalo Úrcolo, selbst Landwirt und einer der Mitbegründer von CrowdFarming: „Der Wegfall von Zwischenhändlern fördert den ökologischen Landbau.“ Obwohl: Ist CrowdFarming nicht auch ein Zwischenhändler? Einerseits schon, wenn das Vermitteln von Kontakten als Zwischenhandel gilt, andererseits auch wieder nicht im üblichen Sinn. „Die Landwirte nutzen crowdfarming.com als Plattform für den Direktverkauf ihrer Lebensmittel. Unser Team unterstützt sie in fünf Bereichen: Aufbau eines öffentlichen Profils, Werbung für ihre Produkte, Entwicklung von Verpackungen, Kundenbetreuung und Versandabwicklung“, schreibt Gonzalo Úrcolo.

Für diese fünf Dienstleistungen verlangt CrowdFarming durchschnittlich 22 Prozent des Verkaufserlöses. Das klingt viel für die Ohren der meisten von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern. Es ist aber ziemlich genau der Rest, der im üblichen Handelssystem für die Produzenten von Lebensmitteln bleibt. Im Durchschnitt bleiben 22,3 Prozent des Verbraucherpreises der Lebensmittel auf den Höfen. In den 1970er Jahren war das noch die Hälfte.

Bei CrowdFarming liegt der Verdienst der Bäuerinnen und Bauern noch heute – oder heute wieder – bei fünfzig Prozent des Endverkaufspreises. Ein Viertel kostet der Transport, drei Prozent kassieren die Finanzdienstleister für die Bezahlung. Wer also will, dass ein angemessener Teil des Preises bei den Produzenten der Lebensmittel bleibt und dass sie ihre Ware nicht wegen kleiner Schönheitsfehler wegwerfen müssen, kauft direkt ab Hof. Und dies bei Südfrüchten eben im Süden, am klimafreundlichsten im Süden Europas.

Nur: Was macht man eigentlich mit einer ganzen Kiste Orangen? Kann man die alle nacheinander aufessen? Wenn nicht, dann Saft und Marmelade produzieren Die Orangenmarmelade vorzugsweise mit den Schalen bitteschön. Oder man teilt sie mit Freunden. Kühl gelagert halten sich auch die reif geernteten Früchte übrigens sehr gut zwei oder drei Wochen lang.


Direkt zur deutschen Seite von gebana. / Direkt zur deutschen Seite von CrowdFarming.