Verbotene Frucht

Deutsche Äpfel im Winter und Frühjahr: Ist das regionales Essen und deshalb gut? | Foto: Susanne Jutzeler

Demnächst brauche ich als Demonstrationsobjekt mal wieder einen Apfel. Nicht für die Geschichte von Eva und Adam, aber für etwas Ähnliches. Kleine Demonstration vor Publikum. Nun ist bekanntlich gerade so gar keine Apfelzeit in unseren Breiten. Und so frage ich mich: Kann man als umwelt- und vor allem klimabewusster Konsument im frühen Frühjahr mit gutem Gewissen einen Apfel kaufen? Wie ist wohl die Energie- und damit auch Klima-Bilanz eines Frühjahrsapfels – entweder aus Südafrika, Neuseeland oder aus dem Kühlhaus in Europa? Wo steht der Baum der Erkenntnis?

Gibt es derzeit überhaupt hiesige Äpfel im Supermarkt? Ja, gibt es, auch im Bio­laden, in großer Menge und gleich mehrere Sorten zur Auswahl. Sowohl deutsche, als auch italienische, als auch Äpfel aus Übersee. Sie sehen überaus knackig aus, wie eben frisch geerntet. Und sie riechen auch noch gut. Wie schaffen die Obstbauern das? Und ist es wirklich sinnvoll, diese „verbotene“ Frucht im Frühjahr aus regionalem Anbau, oder besser aus regionaler Lagerung zu kaufen?

Die Reisefrucht

Der Apfel aus Neuseeland kommt mit dem Schiff. Seine Reise dauert fast einen Monat und führt über den Pazifik, durch den Panamakanal und über den Atlantik bis nach Rotterdam oder Antwerpen – und dann weiter im Kühllaster bis zu unserem Supermarkt oder Bioladen. Das sind rund 23.000 Kilometer auf See und dann noch einmal ein paar hundert Kilometer auf der Straße. Was das bedeutet, hat die Redaktion der WDR-Wissenschaftsendung Quarks vor mehr als zehn Jahren schon von der Universität Bonn ausrechnen lassen: An einem Kilo Äpfel aus Neuseeland hängen 3,06 Megajoule Energie für den Transport.

Das hört sich viel an. Wenn ich allerdings nachschlage, dass die Heizleistung einer Kilowattstunde Strom schon 3,6 Megajoule ist und bei der Verbrennung einer Öleinheit, also eines Kilogramms Rohöl, 41,9 Megajoule Energie frei werden, dann klingt es doch nicht mehr so viel.

Der damalige Umweltbeauftragte von Tchibo hatte mir schon vor gut zwanzig Jahren mal vorgerechnet, dass der Transport des Kaffees keineswegs der größte Treibhausgas-Emittent dieser Bohne ist. Und dass man sehr viel Energie beim Transport einsparen könne, wenn man die Schiffe nicht mit Termindruck über den Ozean hetzt, sondern ihnen Zeit lässt. Ein paar Knoten langsamer fahren sie deutlich energieeffizienter. Nun weiß ich nicht, ob die Schiffe mit den Äpfeln aus Neuseeland unter Termindruck fahren, da sie höchstwahrscheinlich nicht nur Äpfel geladen haben, aber so oder so keimt der Verdacht, dass die monatelange Lagerung im deutschen Kühlhaus vielleicht sogar mehr Energie frisst.

Wo steht der Baum der Erkenntnis im Fall des Frühjahrsapfels? Zuzeiten Lucas Cranachs des Älteren war das noch klar. | Foto: Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen

Die Kühlfrucht

In Deutschland gibt es für alles bekanntlich einen Professor oder eine Professorin, oder wenigstens ein Institut mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So ist das auch bei der Kühlung von Äpfeln. Das Institut ist das für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse. Es ist angesiedelt unter dem Dach des MRI, des Max-Rubner-Instituts in Karlsruhe. Das wiederum ist das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel und untersteht dem Landwirtschaftsministerium.

Im Institut für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse wird stetig an der Verbesserung der Apfellagerung geforscht. Dort erfährt man, dass der Apfel der Deutschen liebstes Obst ist. Rund 23 Kilogramm Äpfel pro Kopf verzehren wir im Jahr. Da wir nicht in den zwei Apfelerntemonaten im Herbst Tag und Nacht Früchte kauen, ergibt sich aus der schieren Menge, dass Äpfel gelagert werden müssen oder reisen.

Gelagert wird in speziellen CA-Kühlhäusern. CA steht für Controlled Atmosphere und meint im Falle der Äpfel nicht nur die Kühlung, sondern auch die Reduktion von Sauerstoff und die Erhöhung des Kohlendioxidanteils in der Kühlhausluft. In den CA-Kühlhäusern wird die Temperatur je nach Apfelsorte auf knapp Null Grad bis drei Grad plus reduziert, der Gehalt an Sauerstoff in der Luft von über zwanzig Prozent auf eines, und der Gehalt von Kohlenstoffdioxid wird erhöht von rund 0,05 Prozent auf bis zu drei. Dazu wird die Luftfeuchtigkeit in den Kühlräumen stark erhöht, auf durchschnittlich neunzig Prozent, also kurz vor dem Abregnen.

Eine für normales Erdenleben eher unfreundliche Luftzusammensetzung. So soll das auch sein, denn die geernteten Früchte sind keineswegs tote Substanz, die man einfach konservieren kann. Auch geerntete Früchte haben noch einen Stoffwechsel. Ihr Reifeprozess funktioniert allerdings genau andersherum wie die Atmung des Apfelbaums: Er verbraucht Sauerstoff und setzt Kohlendioxid frei. Es entstehen aromatische Gasverbindungen und es entsteht Wasserdampf. Um das alles einzuschränken und die Reifung des Apfels in extreme Zeitlupe zu versetzen, reduziert man in der Kühlhausluft alles, was der Reifeprozess braucht und hindert ihn durch Übersättigung der Umgebungsluft mit den eigenen Zersetzungsgasen daran, diese loszuwerden. Wird der Sauerstoffanteil in der Kühlhausluft unter ein Prozent gedrückt und die Luftfeuchtigkeit über die neunzig Prozent erhöht, lassen sich manche Apfelsorten über ein Jahr lang lagern. Dabei steigt allerdings der Energiebedarf deutlich.

Und um die Energie ging es ja eigentlich. Wie groß ist der Rucksack an Treibhausgasen, den der Apfel im Frühjahr mit sich herumträgt? Was ist klimafreundlicher – wenn es denn Apfel sein muss -, der Reiseapfel oder der Kühlhausapfel?

Die Untersuchung für Quarks durch die Bonner Uni ergab, dass der deutsche Kühlhausapfel deutlich klimafreundlicher ist als der verglichene Reiseapfel aus Neuseeland. Das Kilo Kühlapfel hat bis zum Frühjahr nur 0,97 Megajoule an Energie verbraucht.

So ist unser Frühjahrsapfel sicher nicht durch den Winter gekommen. Die jetzt angebotene Ware kommt entweder von weit her über den Ozean oder ist monatelang im Kühlhaus gewesen. | Foto: S. Hermann / F. Richter / Pixabay

Und weiter?

Dann greifen wir doch zum regionalen Apfel? Leider steckt der Teufel wie immer so auch hier im Detail und ich fühle mich an den damaligen Umweltmanager von Tchibo erinnert: Der Transport allein ist nicht das Problem. Die Produktion und Ernte von Äpfeln ist in Deutschland nämlich energieaufwendiger als in Neuseeland. Für das angenommene Kilogramm Äpfel werden hierzulande 2,8 Megajoule gebraucht, in Neuseeland nur 2,1 Megajoule. Das liegt vor allem daran, dass die Bäume Downunder größer werden und viel mehr Äpfel tragen.

Am Ende ist der Vorsprung des deutschen Kühlhausapfels vor dem neuseeländischen Reiseapfel so gering, dass man ihn zunichtemacht, wenn man auch nur anderthalb Kilometer weit mit dem Verbrennerauto zum Einkaufen fährt.

Also was tun? Ist ziemlich einfach: Keine Äpfel mehr essen im Frühjahr und vor allem nicht im Sommer. Nehmen wir doch einfach den im vergangenen Herbst eingemachten Apfelkompott. Obwohl? Wieviel Energie braucht es, um den einzukochen? Diese Frage müssen wir uns jetzt aber nicht mehr ernsthaft stellen, oder? Wir arbeiten doch mit Ökostrom in der Küche, na klar! Oder vielleicht Orangen essen aus Südeuropa. Die wären jetzt die saisonale Frucht. Könnten wir direkt ab Hof bei Crowdfarming bestellen. Dann wären sie reif gepflückt, ohne Klimabehandlung, ungewaschen und nicht gewachst. Und der Klima-Rucksack wäre deutlich kleiner als der der Äpfel.

Guten Appetit!