Die Kuh-Klima-Lüge

Die beiden hier arbeiten im Naturschutz. Im nördlichsten Naturschutzgebiet Deutschlands, dem Rickelsbüller Koog. Da wo die Landwirtschaft die meisten Treibhausemissionen verursacht. Müssen die beiden deshalb weg? | Foto: Florian Schwinn

Ein Narrativ, sagt Wikipedia, sei eine „sinnstiftende Erzählung (…), die Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Heute soll es hier einmal mehr um ein Narrativ zum Thema Landwirtschaft gehen. Allerdings um eines, das eher Unsinn stiftet. Ganz so, wie das in einem früheren Podcast der hessische Biobauer Dieter Euler schon gesagt hat: „Neunzig Prozent der sogenannten Narrative über die Landwirtschaft stimmen nicht, oder sie stimmen so nicht. Der Fakt als solcher stimmt, aber die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind falsch oder unsinnig.“

Damals ging es um den Unsinn, dass, um ein Kilogramm Fleisch wachsen zu lassen, ein Rind über 15.000 Liter Wasser verbrauche. Für jedes einzelne Kilo Rindfleisch. Ich hatte die damalige Ausgabe des Podcasts und des zugehörigen Blogs „Die Fleisch-Wasser-Lüge“ getauft. Heute geht es um den Unsinn, dass die Kuh das Klima zerstört, weil sie das Treibhausgas Methan ausstößt. Entsprechend nenne ich diese Ausgabe mal einfach „Die Kuh-Klima-Lüge“.

Handlungsbedarf?

Nirgendwo in Deutschland ist die Landwirtschaft so klimawirksam wie ganz im Norden. In Schleswig-Holstein stammt fast ein Viertel der Treibhausgase aus der Landwirtschaft. Im Bundesdurchschnitt ist die Landwirtschaft für acht Prozent der Treibhaus-gase verantwortlich, in Schleswig-Holstein aber für fast ein Viertel. 22 Prozent sind es genau, nachzulesen im „Bericht zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein“.  Das liegt daran, dass im hohen Norden wenig Industrie das Klima anheizt.

Nirgendwo gibt es so viele Windräder und Solaranlagen, nirgendwo so viele Elektroautos. Der hohe Anteil der Landwirtschaft an den berechneten Treibhausgasemissionen ist also nur ein relativer.

Dennoch besteht dringender Handlungsbedarf. Das sagt der grüne Umweltminister Tobias Goldschmitt ebenso wie der Landwirtschaftsminister von der CDU. Wobei Werner Schwarz, bis er Minister wurde, Präsident des Landesbauernverbandes war. Ihn beauftragt der schwarz-grüne Koalitionsvertrag mit dem Aufbau eines „Kompetenzzentrums für klimaeffiziente Landwirtschaft“.

  Was dieses Kompetenzzentrum an großen Themen beackern wird, darf man schon jetzt vermuten: das Lachgas aus dem Dünger und natürlich das Methan aus dem Verdauungstrakt der Rinder.

Die Tierärztin Anita Idel, bekannt für ihren Sachbuchbestseller „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“, spricht von einem Mythos, für dessen Erfindung sie gerne die fossile Industrie beglückwünscht, also Aral, BP und Co. Biobauer Dieter Euler vermutet hinter dem Narrativ von der klimazerrülpsenden Kuh eher die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.

Er habe im Landwirtschaftsstudium gelernt, dass die Kuh Methan rülpst. Eine lange bekannte Tatsache. Als das aber irgendwann in den 2000er Jahren dem ehemaligen Greenpeace-Vorsitzenden und damaligen Foodwatch Geschäftsführer Thilo Bode bekannt wurde, da wurde daraus ein Skandal gemacht. „Denn Methan ist ja klimaschädlich.“

Früher hätte er in einem solchen Fall gesagt: „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Heute denkt er anders und sagt: „Herr vergib ihnen nicht, denn sie sollen sich einfach mal schlau machen.“

Also, machen wir uns mal schlau.

Methan woher?

Methankonzentration in der Atmosphäre nach der Statistik der ESRL. Werte in parts per billion, Milliardstel Teilen. | Quelle: Klimareporter

Methan ist CH4, besteht also aus vier Teilen Wasserstoff und einem Teil Kohlenstoff. Fossiles Methan holen wir aus der Erde, um es zu verbrennen. Dann nennen wir es Erdgas. Wenn uns Wladimir Putin den Gashahn zudreht, nennen wir das Energiekrise, weil wir das Methan dann teurer anderswo einkaufen müssen. Zum Beispiel da, wo es via Fracking aus dem Boden gelöst wird, wobei erhebliche Methan-Verluste entstehen. Auch bei der Förderung von Erdöl entweicht fossiles Methan.

In der Atmosphäre ist Methan laut Umweltbundesamt 25-fach klimawirksamer als Kohlendioxid. Das allerdings nur relativ kurze Zeit, dann ist es zerfallen. Es kommt allerdings immer mehr neues Methan nach.

Die US-amerikanischen Earth System Research Laboratories, also die Labors für Erdsystemforschung, messen für die Klimaforschung weltweit die Treibhausgase. Die vom ESRL erstellte Statistik für Methan verzeichnet einen steilen Anstieg. Von rund 1600 parts per billion, also Milliardstel Anteilen im Jahr 1985, ging es steil nach oben bis fast 1800 ppb Anfang der 2000er Jahre. Dann blieb der Anteil des Methans in der Luft etwa gleich, bis 2006 erneut ein Anstieg um weitere hundert ppb bis heute einsetzte.

Hat das irgendetwas mit der Population der Rinder auf der Erde zu tun? Könnten sie für den Anstieg des Methans in der Atmosphäre verantwortlich sein.

Die weltweite Rinderstatistik zeigt im Gegenteil seit 1990 steil nach unten. Bis 2016 nahm der weltweite Rinderbestand um hundert Millionen Tiere ab. 2016 waren es dann nur noch 963 Millionen. Inzwischen werden wieder etwas über eine Milliarde Rinder auf der Erde gehalten. Die beiden Statistiken haben offensichtlich nichts miteinander zu tun.

Und die eine Milliarde Rinder auf der Erde heizen das Klima auch nicht zusätzlich an, wenn der Rinderbestand gleichbleibt oder sogar sinkt, sagt Wilhelm Windisch, Professor für Tierernährung an der Technischen Universität München.

Statistik der weltweiten Rinderhaltung. Menge in Millionnen. | Quelle: Statista

Ursache Evolution

Professor Windisch ist eine gute Adresse, wenn man sich erklären lassen möchte, wieso die Rinder und andere Wiederkäuer eigentlich Methan emittieren. Sie sind vor Millionen Jahren mit Mikroorganismen eine Liaison eingegangen. Die winzigen Einzeller in ihrem Verdauungssystem schließen ihnen die für uns unverdauliche Nahrung auf. Sie ermöglichen es den Tieren, dass sie sich von Gras ernähren können.

Mit den Wiederkäuern entstanden die Graslandschaften. Denn das Weidegras ist in Koevolution mit den Weidetieren entstanden. Sie regen durch ihren Verbiss das Wachstum der Gräser an. Und die ehemaligen Graslandschaften, die Savannen, sind bis heute die fruchtbarsten Gebiete der Erde.

Nicht die Kuh produziert also Methan, sondern die Mikroorganismen tun das, mit denen sich die Rinder im Laufe der Evolution symbiotisch eingelassen haben. Denn nur mit Hilfe der kleinsten Lebewesen ist es ihnen gelungen, die Energie der Zellulose für sich nutzbar zu machen. Wir können uns von Gras nicht ernähren. Wir haben die Graslandschaften im Laufe unserer Evolution zwar genutzt. Hergestellt und erhalten haben sie allerdings die Weidetiere.

Die großen Weidetiere sorgen für fruchtbare Landschaften und helfen, CO2 als Humus im Boden zu speichern. Hier in der Serengeti, vormals auch bei uns in Mitteleuropa. Die alten Graslandschaften sind heute die besten Äcker. | Foto: Nevit Dilmen

Anaerob

Methan entsteht übrigens in den Mägen der Wiederkäuer nur, weil es dort anaerob zugeht. Es gibt dort keinen Sauerstoff, mit dem der Kohlenstoff zu schlichtem Kohlendioxid, also direkt zu CO2 werden könnte. Dort arbeiten Mikroorganismen, die keinen Sauerstoff atmen müssen.

Dasselbe geschieht übrigens auch in anderen von der Luft getrennten Lebensräumen. In dem von uns künstliche erschaffenen Lebensraum der Biogasanlage zum Beispiel. Aber auch, wenn organisches Material in Sümpfen verrottet. Oder auch in den künstlich vernässten Reisfeldern.

Die asiatischen Bauern dürften sehr dankbar sein, dass der Reis noch nicht zum Klimakiller erklärt wurde.

Mehr Rinder!

Schauen wir doch nochmal in den echten Norden – nach Schleswig-Holstein. Dort stellten Landwirtschafts- und Umweltminister gerade fest, dass die hohe Rinderdichte im Land auch für den im Bundesdurchschnitt vergleichsweise größeren Methanausstoß verantwortlich ist. 1,07 Rinder pro Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche.

Bioanbauverbände wie Demeter empfehlen ihren Mitgliedsbetrieben anderthalb Großvieheinheiten pro Hektar, also ein halbes Rind mehr. Nicht abbauen, sondern aufbauen müssten wir den Rinderbestand also eigentlich. Zumindest dann, wenn wir vielleicht dann doch mal auf Kunstdünger verzichten sollten, weil, ja weil Putin das so will. Der meiste Kunstdünger nämlich wird mit Hilfe von Erdgas produziert. Übrigens mit einem Verfahren, für die die Entwickler Fritz Haber und Carl Bosch 1918 und 1931 den Nobelpreis bekamen. Und für die chemisch vollständige Erklärung des Haber-Bosch-Verfahrens dann Gerhard Ertl noch einmal 2007.

  Aber sollten wir heute noch mit fossiler Energie Stickstoff aus der Luft in den Boden bringen? Von wo aus das Zuviel dann in Gewässern und Grundwasser als Nitrat gelangt. Zuvor allerdings ist noch ein Teil des Stickstoffs zu Lachgas oxydiert: Distickstoffmonoxid, N2O. Achtung: dreihundertmal klimawirksamer als Kohlendioxid. Soll das trotz Klimawandel und Energiekrise so weitergehen, oder machen wir’s doch lieber mit der Kuh und ihrem Dung?

Die Rinder und die anderen Weidetiere haben unsere Landschaften fruchtbar gemacht. Sie haben sie gedüngt für Jahrtausende. Wir zehren davon. Das geht aber nicht ewig so weiter, wenn wir die Tiere nicht mehr rauslassen aus den Ställen, wenn wir sie nicht das machen lassen, was sie am besten können: weiden.

Deshalb plädiert nicht nur Anita Idel nicht für weniger, sondern für mehr Rinder. Die dann aber draußen und von robustem Wesen. Keine Hochleistungskühe, die Kraftfutter brauchen; keine Fleischrassen, die nur wachsen können. Zweinutzungsrinder, die auch das ganze Jahr draußen bleiben können, wo die Landschaft das möglich macht.

Also: Mehr Rind statt weniger. Aber was schreib ich hier so lange rum: Einfach anhören den Podcast!