Goldener Oktober

Was sehen wir hier? Leckeren Apfelsaft fürs nächste Jahr! Nicht liegenlassen, nicht wegwerfen – auch die mit den Wurmlöchern und die mit den Druckstellen vom Fallen geben guten Saft. | Foto: Th. G.

An dieses Jahr werden wir sicher nicht mit guten Erinnerungen zurückdenken. Aus leider viel zu vielen schlechten Gründen. Aber es gibt doch eine Möglichkeit, etwas Gutes mitzunehmen aus diesem Jahr, denn 2022 war in vielen Gegenden ein sehr gutes Apfeljahr. Nehmen wir mal den Martin Luther zugeschrieben Spruch zum Motto: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Erstaunlich reiche Ernte, trotz der Trockenheit. Nur, was hat man davon? Äpfel sind verderbliche Ware. Was also tun? Wie retten wir den goldenen Oktober ins nächste Jahr?

Man kann Apfelmus kochen und einmachen. Man kann im Entsafter Apfelsirup herstellen und den dann später mit gesprudeltem Wasser zu einem erfrischenden Getränk machen. Jeden Tag Apfelmus ist allerdings auch nicht die kulinarische Empfehlung und die Herstellung von Sirup ist eine aufwendige und klebrige Sache. Schlichter Apfelsaft wäre gut. Lange haltbar, wenn pasteurisiert, und nicht so süß wie Sirup. Nur wie herstellen ohne Labor?

Eigene Äpfel, eigener Saft

Genau diese Frage hat sich vor Jahren auch Jens Holthusen gestellt. Die Familie war umgezogen in ein Haus mit Apfelbäumen. Aber wohin nun mit all den schönen Äpfeln aus dem eigenen Garten und von all den Nachbarn, die auch nicht wussten, was damit anzufangen wäre?

Die naheliegende Idee, ohne Klebechaos in der Küche: Einsammeln und zum Pressen in die nächste Kelterei fahren. Es wäre doch schön, den Saft von den eigenen Äpfeln zu haben. Den Geschmack des Herbstes in der Flasche bewahren – bis zur nächsten Ernte.

Schöne Idee, aber schwierig bis unmöglich die Verwirklichung. Die großen Keltereien nahmen Äpfel an und boten dafür Saft, fertig aus der Kiste. Nicht der Saft von den eigenen Äpfeln, sondern der aus dem Supermarkt. Die kleinen Hinterhof-Keltereien warfen zwar nicht alle angelieferten Partien zusammen, aber wirklich Saft von den eigenen Äpfeln gab es auch dort nicht. Außerdem wurde der Saft in großen Behältern erhitzt. Das ging weder schnell, noch bei gleichmäßiger Temperatur.

„Der Saft muss sehr rasch und sehr gleichmäßig auf genau achtzig Grad erhitzt und dann sofort abgefüllt werden“, sagt Jens Holthusen. „Sonst wird das nix mit der Haltbarkeit.“

So war es auch bei seinen Versuchen: Es wurde nichts mit der Haltbarkeit. Der angeblich pasteurisierte Apfelsaft, der sich eigentlich ein Jahr lang halten soll, kam oft nicht mal durch den Winter. Und bei den Fruchtpressen, die ihren Kunden den Saft kalt gepresst mitgaben, musste dann die eigene Küche als Pasteurisierungslabor herhalten. Auch das klappte meist nicht.

Aufgeben wollte Jens Holthusen die Idee vom eigenen Apfelsaft nun aber auch nicht mehr. „Alle reden von Lebensmittelverschwendung und wir lassen die Äpfel vergammeln.“

Geschäftsidee Fruchtpresse

Jens Holthusen an der Abfüllstation seiner Fruchtpresse. Hier läuft der achtzig Grad heiße Saft in die Beutel, die dann in die bereitstehenden Kartons gepackt werden. Ungeöffnet ein Jahr lang haltbar, geöffnet und kühl gelagert immer noch drei Monate. | Foto: Florian Schwinn

Jens Holthusen hat erst Zimmermann gelernt und dann Betriebsschlosser. Er hat in der Industrie als Einrichter gearbeitet. Das sind die Organisatoren der Fließbandarbeit, die die Arbeitsabläufe planen, das Material bereitstellen und dafür verantwortlich sind, dass die Produktion läuft. Von rationellen Arbeitsabläufen versteht er etwas.

Deshalb beobachtete er auch mit Staunen die kleinen Hinterhofkeltereien, zu denen er seine Äpfel brachte: „In einem der Höfe haben die zu siebt gearbeitet: die Früchte gewaschen, die Presse befüllt, den Saft erhitzt und in Glasflaschen abgefüllt. Für fünfzig Cent die Flasche.“ Er schüttelt den Kopf: „Verdienen kann man dabei nichts. Das ist ein teures Hobby.“

Inzwischen war seine Idee vom eigenen Apfelsaft zur Geschäftsidee geworden. Er wollte eine Fruchtpresse bauen, die auf einen Anhänger passt, mit dem er dann zu den Äpfeln fahren könnte. Es muss doch ein System geben, mit dem man Apfelsaft herstellen und haltbar machen kann, ohne gleich einen Industriebetrieb aufzubauen, sagte er sich.

Er begann seine Idee zu skizzieren, indem er seine Wünsche aufschrieb: „Was wünsche ich mir als Kunde? Das war mein Ausgangspunkt.“

Er schrieb auf: Ich will Saft von meinen eigenen Äpfeln. Ich will Saft von sauberen Äpfeln, sie müssen also gewaschen werden. Ich will den Saft sicher erhitzt und haltbar gemacht haben. Er soll möglichst bis zur nächsten Ernte aufbewahrt werden können, wenn er nicht vorher ausgetrunken ist. Ich will den Saft fertig abgefüllt in sauberen Behältern mitnehmen.

Wie es funktioniert

Das in durchlässige Tücher gepackte Apfelmus, in Lagen mit Brettchen getrennt, kommt in die Presse: drei Tonnen Druck quetschen den Saft aus dem Mus. | Foto: Florian Schwinn

„Wer baut mir eine Fruchtpresse mit Früchtewaschanlage und Pasteurisierung auf einen Anhänger?“ Jens Holthusen lebt in Nordfriesland. Die nächstgelegene Obstgegend ist das Alte Land bei Hamburg, spätestens seit dem gleichnamigen Bestsellerroman von Dörte Hansen bundesweit bekannt. Dort sollte es doch eine Firma geben, die Fruchtpressen baut. Ja, aber nichts, was auf einen Anhänger passt, den man mit einem Lieferwagen durch die Landschaft ziehen kann.

Fündig wurde Jens Holthusen am anderen Ende der Republik: am Bodensee. Ein kleiner Hersteller von Maschinen für die Landwirtschaft konnte ihm dort das skizzierte System auf einen Hänger bauen.

Auf der einen Seite werden die Äpfel in eine Schütte gefüllt, durch die ein Förderband läuft. Und zwar jeweils nur die Äpfel eines Kunden oder einer Kundin. Die Partien werden nicht vermischt. Das Band transportiert die Äpfel in die Waschanlage. Darin arbeiten Paddel, die die Äpfel durchs Wasser wirbeln. Die sauberen Äpfel laufen in eine Reibe, die aus ihnen Mus macht.

Das Apfelmus wird dann von einem Mitarbeiter in Tücher gefüllt, die in auf einem Holzbrett mit aufgelegtem hölzernem Rahmen liegen. Jedes Tuch wird zugefaltet, der Rahmen kommt weg, ein zweites Brett obendrauf – und ab in die Presse. Gepresst wird mit drei Tonnen Druck. Der Trester, der aus den Tüchern in einen zweiten, nebenan geparkten Anhänger gekippt wird, ist ziemlich trocken. Der geht am Ende zu Jägern oder zu Bauern, zur eigentlich verbotenen Wildfütterung, zu den Schweinen oder in die Biogasanlage.

Der Saft läuft indes in einen Behälter, der ein wenig nach Milchküche aussieht. Von dort geht es durch ein heißes Rohr, das den Saft in kürzester Zeit auf achtzig Grad bringt, direkt in die Verpackung.

Jens Holthusen trägt Handschuhe beim Abfüllen auf der anderen Seite des Anhängers. An achtzig Grad heißem Saft kann man sich gut die Finger verbrennen. Das Abfüllsystem seiner Wahl ist Bag-in-Box, also der lebensmittelechte Plastiksack im wiederverwendbaren Faltkarton.

Der Einrichter hat sich sein System eingerichtet: Digital überwacht, mit Temperatur- und Durchlaufkontrolle. Sie arbeiten zu zweit, rationell durchorganisiert. Jeder Handgriff sitzt. Sie brauchen nur einen Stellplatz für Lieferwagen und Hänger und den zweiten Wagen mit dem Anhänger für den Trester nebenan. Sie brauchen Wasser und sie brauchen Strom. Wobei sie den mit einem Generator notfalls selber machen können.

Sie pressen Äpfel und Birnen. Und ganz am Ende eines Arbeitstages, bevor die Maschinen gereinigt werden, für Liebhaber des Sauren auch Quitten. „Was die Mischungen und den Geschmack angeht, mische ich mich nicht ein“, sagt Jens Holthusen. „Wenn ich gefragt werde, dann gebe ich Tipps.“ Zum Beispiel, dass reiner Birnensaft vielleicht ein bisschen zu süß wird und sich wegen fehlender Säure auch nicht so lange hält. „Zu Quitten sag ich lieber nix“, sagt er, und zieht die Lippen zusammen.

Und weg mit dem Trester – Futter für die Schweine und die Biogasanlage. Der Saft läuft inzwischen in die Stahlbehälter auf der anderen Seite der Fruchtpresse und wird dann auf dem Weg zum Verpacken pasteurisiert. | Foto: Florian Schwinn

Saisongeschäft

In seinem bisherigen Spitzenjahr hat Jens Holthusen 80.000 Liter Saft hergestellt. Dank der überwachten Temperatur beim Pasteurisieren hat er so gut wie keine Reklamationen. „Der Saft hält ein Jahr“, verspricht er seinen Kundinnen und Kunden. „Und mit Köm drin?“ fragt ihn einer beim Abfüllen auf dem Marktplatz. „Mit Schnaps auch vier Jahre“, sagt Jens Holthusen. Die Antwort kommt blitzartig. Er kennt diese Frage von seinen Nordfriesen, die selbst die Cola mit Schuss trinken.

In der Obstsaison steht die mobile Fruchtpresse auf Märkten. Dort liefern die Kundinnen und Kunden Äpfel im Kofferraum oder im Anhänger an. In diesem Jahr sind es viele Anhänger. Vielleicht wird es so gut wie 2018. Auch wenn der Markt längst verlaufen ist, die Fruchtpresse arbeitet weiter. Jens Holthusen gibt Nummern aus und sagt den Kunden, wann sie wiederkommen sollen, wenn die Warteliste lang ist.

Es hat gedauert, bis die Fruchtpresse ihren Erbauer ernährt hat, aber inzwischen ist es soweit. Außerhalb der Obstsaison bietet Jens Holthusen Handwerkerarbeiten am Haus, Gartenpflege, auch Obstbaumschnitt. Aber sein Haupteinkommen generiert inzwischen die Fruchtpresse. Das allerdings mit harter und langer Saisonarbeit erkauft.

Kinder Kunden

Als die Fruchtpresse fertig war, damals vor zwölf Jahren, als Jens Holthusen in die neue Selbstständigkeit als Safthersteller startete, da brauchte er erst einmal Kunden. Er musste Menschen finden, die noch gar nicht wussten, dass sie gerne Saft von den eigenen Äpfeln hätten. „Wie bekannt werden?“ fragte er sich.

Und hatte dann eine Idee, die ähnlich gut funktionierte, wie die mit der Presse selbst: Er wandte sich an den Kindergarten in dem kleinen Dorf bei Husum, in dem er wohnt. Die Kita hat einen Garten, da stehen Apfelbäume. Bis dahin fielen die Äpfel von den Bäumen und faulten, oder wurden von den Kindern als Wurfgeschosse verwendet.

Damit war nun Schluss. Die mobile Fruchtpresse kam, und die Kinder sammelten Äpfel. Sie schüttelten den Baum, sie lernten, dass man auch die Früchte nehmen kann, die schon unten liegen. Ausnahmsweise wird das Essen, was schon auf dem Boden lag. Die Kinder erzählten zuhause vom eigenen Kitasaft, und manche Eltern wollten das dann auch. So wuchsen Kundenstamm und Bekanntheit. Und einige Familien fingen an, auch am Straßenrand Äpfel zu sammeln, die niemand verwerten wollte.

Bis heute fährt Jens Holthusen zu Kitas und auch zu Schulen, um vor Ort Saft herzustellen. „Ich mache das gerne, auch wenn es dauert, weil die Kinder helfen wollen“, sagt er. „Es lohnt sich. Man sieht richtig, wie der Respekt vor dem Lebensmittel wächst.“ Das Fallobst wird vom minderwertigen Wurfgeschoss zum hochwertigen Rohstoff. „Letztens in einer Grundschule“, erzählt Jens Holthusen, „kam ein Schüler auf mich zu gerannt und fragte: Darf ich wieder helfen, wie voriges Jahr in der Kita?“


Wer jetzt im Norden Deutschlands seine Äpfel oder Birnen oder beides zusammen zu Jens Holthusen bringen möchte, um den eigenen Saft mit nachhause zu nehmen, der schaut hier. Wer das in anderen Regionen Deutschlands tun will, der schaut im Netz unter Saftpresse oder Mobile Fruchtpresse.

Und wer das Ganze in bewegten Bildern sehen will, der kann bei YouTube den Film von Petra Schweim und John Langley anschauen.