Klimawein

Was man von hier aus nicht vermuten würde: Hinter diesem herrschaftlichen Weingut liegt die Düne und dahinter die Nordsee: Das Weingut Waalem auf Föhr. | Foto: Florian Schwinn

Der Wein ist gelesen, in den Kellern gärt es. Und die deutschen Winzer haben gute Gründe für einen wohlgelaunten Erntedank. Die Menge übersteigt die der Vorjahre und die Qualität soll gut sein. Vor allem der Rotwein dürfte profitiert haben vom sonnenreichsten Sommer in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Im Süden allerdings haben die Reben auch gelitten unter der Trockenheit. Vor allem da, wo es in den vergangenen Jahrzehnten deutlich feuchter war und die Rebstöcke das nicht gewohnt sind. Die Franken starteten die Weinlese noch einmal früher als in den letzten trockenen Jahren. Die Österreicher Winzer ernteten wegen der Reben im Trockenstress eher weniger.

Deutscher Nordwein

Die Weinliebhaber unter den Klimaforschern warnen, dass bei zunehmenden sommerlichen Hitzewellen der Weinanbau in mancher Mittelmeerregion unmöglich werden könnte. Und auch in Deutschland könnte es mancher der beliebten Rebsorten in den traditionellen Weinbaugebieten zu heiß werden. Also wandert der Weinbau nach Norden. Vom Mittelmeer zur Nordsee.

Es ist ein großer Schritt nach Norden. Gut sechshundert Kilometer entfernt von den klassischen Weinbaugebieten wächst seit ein paar Jahren der Nordwein Deutschlands.

Am langen Sandstrand im Süden der Insel Föhr läuft man von der Inselhauptstadt Wyk gut dreieinhalb Kilometer am Wasser entlang nach Westen. Dann, hinter dem Golfplatz und kurz vor dem Küstenort Nieblum, muss man – gewusst wo – auf einem schmalen Pfad über die Sanddünen laufen, um eine Baumhecke herum, und findet dahinter die ersten Weinfelder.

Das Weingut Waalem trennt derzeit ein Bauzaun von seinen potenziellen Kunden. Einfach ohne Termin hinfahren ist gerade noch nicht möglich, denn hinter dem Haupthaus klafft noch ein tiefes Loch im Sandboden. Hier entstehen der neue Weinkeller und darüber die Probierstube und der Empfang für die Besucher.

Gebaut wird im Stil des Haupthauses, das aufwendig renoviert aus einem ehemaligen Sanatorium entstanden ist, mit Spitz- und Schweifgiebeln und Türmchen und Terrassen und Balkonen. Nordischer Jugendstil, Jahrhundertwende.

  Zur Düne hin, die den Wein von der Nordsee trennt, haben sich die neuen Winzer einen Obstgarten angelegt und vor die Düne eine hölzerne Terrasse gebaut. Von diesem erhöhten Standort aus kann man nach Süden auf das Wasser schauen und nach Norden auf das Weingut. Und man hat einen Überblick über die Anlage. Man erkennt, dass die Reben von den Baumhecken geschützt werden. Vor allem nach Westen hin, zur Hauptwindrichtung.

“Können wir das auch?” hatte ein Freund bei einer Flasche dänischen Weines gefragt. Christian Roeloffs spontane Antwort. “Wenn die Dänen das können, dann können wir das auch!” | Foto: Florian Schwinn

„Wind“, sagt der Neuwinzer Christian Roeloffs, „ist hier ein Problem, vor allem in der Zeit der Blüte der Reben. Dann kann er zu Verrieselungen führen.“ Bei ungünstiger Witterung fallen die Blüten einfach von den Reben. „Später hat der Wind auch Gutes: Er hilft den Trauben beim Abtrocknen nach einem Regen. Auch deshalb haben wir wenig Pilzbefall, fast keine Probleme mit Botrytis. Außerdem haben wir auf Föhr keine Spätfröste wie in den klassischen Weinbaugebieten“, sagt Christian Roeloffs und fügt hinzu: „Werden wir auch nicht mehr kriegen. Der Klimawandel hilft uns.“

Er ist eigentlich gelernter Landwirt und Bürgermeister des Inseldorfs Süderende. Er bewirtschaftet seinen 220 Hektar großen Ackerbaubetrieb und zieht dem Cousin die Nachzucht von dessen zweihundert Milchkühen auf. Nun ist er aber auch Geschäftsführer des Weingutes Waalem.

Können wir Wein?

Angefangen hat das alles 2008. Damals kam der befreundete Unternehmer Frederik Paulsen zu Besuch, stellte eine Flasche Wein auf den Tisch, die er in Dänemark gekauft hatte. Der Wein wurde probiert und dann kam die Frage: Können wir das auch? „Wenn die Dänen das können, dann können wir das auch!“ war die Antwort.

Damit war die Sache verabredet. Es folgten noch ein paar Gespräche in der guten Stube mit Freunden und Cousins, dann war klar, welche Äcker Weinfelder würden, wer die weinbauliche Beratung übernehmen würde, woher das Geld kommen würde. Und wie das ganze Projekt in die Wege geleitet werden könnte. Denn Wein anbauen darf man nicht einfach so. Welches Bundesland wie viel Wein anbauen darf und welche Gebiete sich das Etikett Qualitätswein aufpappen dürfen, das wird politisch entschieden. Da fügte es sich gut, dass Frederik Paulsen mit Peter Harry Carstensen befreundet war.

Für alle außerhalb der Nordsee-Inselwelt eine kleine Erklärung zu den handelnden Personen: Fredrik Paulsen ist Chemiker und der Sohn des gleichnamigen Mediziners, der 1950 in der Schweiz das Pharmaunternehmen Ferring Pharmaceuticals gründete. Ferring ist der friesische Name der Insel Föhr. Der Vater des heutigen Fredrik Paulsen war im Dritten Reich wegen Widerstands verhaftet worden. Ihm gelang aber dann die Flucht nach Schweden, wo auch sein Sohn Frederik geboren wurde. Mit seinem Pharmaunternehmen wurde er Milliardär und sein Sohn zu einem großen Stifter auf Föhr.

Und der zweite der eben genannten Namen, Peter Harry Carstensen, gehört zu dem ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, der auf der südlich von Föhr gelegenen Insel Nordstrand geboren ist.

So kam es, dass Schleswig-Holstein die Genehmigung bekam für erste zehn Hektar Weinanbau. Davon gingen zunächst zwei Hektar nach Föhr – und 2009 wurde gepflanzt. Und Frederik Paulsen wurde vom Stifter von Institutionen wie dem Museum Kunst der Westküste zum Geldgeber eines Weinguts auf Föhr.

Angebaut werden auf Föhr ausschließlich Neuzüchtungen, sogenannte Piwis: Pilzresistente Rebsorten. Angefangen hat das Weingut mit Solaris und Johanniter. | Foto: Florian Schwinn

Beratung aus Rheinhessen

Die Föhrer Bauern hatten sich Hilfe und Beratung geholt aus dem Süden. Gefunden beim Weingut Johanninger in Biebelsheim im Landkreis Bad Kreuznach. Winzer Markus Haas und Berater Jens Heinemeyer hatten schon Erfahrung im Norden und Startups im Weinbau in Dänemark auf den Weg geholfen.

Johanninger ist ein Bio-Weingut an der Grenze der Weinbaugebiete Nahe und Rheinhessen, also eigentlich sehr weit weg vom Norden, in klassischen Weinbaugebieten mit den bekannten Rebsorten.

Dennoch haben die beiden Winzer aus dem Süden den Föhrer Bauern zu neuen Rebsorten geraten, den sogenannten Piwis. Piwi steht für „pilzwiderstandfähige Rebsorten“. Es geht um Neuzüchtungen, die vor allem auch den Biowinzern helfen, die ohne die üblichen Pflanzenschutzmittel auskommen sollen, also ohne Chemie im Weinberg. Allerdings hatte das Landwirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein damals auch nur Piwis als empfohlene Rebsorten gelistet.

  „Gute Entscheidung“, sagt Christian Roeloffs, „die passen hervorragend zu unserem Klima.“ Mit den neuen Rebsorten Solaris und Johanniter sind die Neuwinzer gestartet, inzwischen gibt es auch Sauvignon gris und roten Pinotin. Und es wurden gerade im Feldversuch ein paar Reben gepflanzt, die die Dänen speziell für den Norden gezüchtet haben.

Als Christian Roeloffs mit dem Weinbau anfing, war sein Sohn dreizehn Jahre alt. Zwei Jahre später hat er sein Schulpraktikum weit vom Elternhaus entfernt im Weingut Johanninger absolviert. „Mit fünfzehn wusste ich, dass ich Winzer werden wollte“, sagt Lenz Roeloffs. Also hat er seine Lehre dann auch im Bio-Weingut Johanninger gemacht und danach das Studium an der hessischen Weinbau-Hochschule Geisenheim begonnen. Inzwischen hat er seinen Bachelor in Internationaler Weinwirtschaft gemacht und arbeitet am Master.

Vater und Sohn mit einer Flasche Föhrer Sekt im Weingut Waalem. Lenz Roeloffs hat in Rheinhessen Winzer gelernt und macht jetzt seinen Master an der Hochschule Geisenheim. | Foto: Torsten Schmidt

Inselwinzer

Lenz Roeloffs wird der erste gelernte Winzer auf Föhr. Er will nach dem Studium das Weingut übernehmen und es „mit einem coolen Team von Mitarbeitern zur norddeutschen Spitze ausbauen. Ich will uns einen Namen machen. Wenn man an Wein aus dem Norden denkt, dann soll man an uns denken!“

Die Voraussetzungen sind gut. Das aufs Feinste herausgeputzte alte Sanatorium liegt malerisch direkt hinter der Nordseedüne. Von der Dünenterrasse schaut man weit übers Wasser zu den Halligen, auf der anderen Seite über die Weinfelder.

Schon jetzt sind die Weinführungen im Sommer meist ausgebucht. Bis zu vierzig Besucherinnen und Besucher führt Christian Roeloffs jede Woche durch das Weingut. Und viel mehr noch stehen unangemeldet immer wieder vor dem Bauzaun, hinter dem gerade Probierstube und Kellerei gebaut werden.

Derzeit stehen etwas mehr als sechs Hektar Reben auf Föhr. Zu wenig für die Nachfrage. „Wir sind immer sehr schnell ausverkauft“, sagt Winzer Lenz Roeloffs. Er denkt an bis zu zwanzig Hektar Reben und damit an ein sehr großes Weingut. „Allerdings ernten wir auch nur die Hälfte dessen, was man aus einem Hektar in Rheinhessen herausholen kann.“ Das sei einerseits dem doch eher rauen Klima geschuldet, andererseits der hauseigenen Philosophie, die auf Qualität setzt, nicht auf Quantität. Lenz Roeloffs hat Weinbau in Bio gelernt und so haben sein Vater und er mit den Beratern auch das Weingut Waalem aufgebaut.

„Man hat so viel Platz zwischen den Reben, da kann man gut etwas für den Boden tun.“ Gründüngung mit Kräutermischungen zum Beispiel. Etwas für den Boden tun ist auch angesagt auf Föhr. „Wir haben sandigen Lehm mit einer sehr knappen Auflage von Mutterboden.“ So beschreibt Lenz Roeloffs die Bedingungen. „Vin de Sable“ würden die Franzosen sagen: Sandwein. Lenz Roeloffs sagt: „An manchen Stellen haben wir auch sandigen Sand.“ Oben dreißig Zentimeter Humus, darunter sechs, sieben Meter Sand. Wie da überhaupt etwas wachsen kann? „Keine Ahnung“, sagt Lenz Roeloffs, „aber die Bäume können das und die Reben auch.“ „Der Wein beißt sich da fest“, sagt sein Vater. Selbst im Trockenjahr 2018 ist ihnen keiner der damals neu gepflanzten Rebstöcke eingegangen.

Von der Nordseedüne aus, sieht man, dass hier auf Zuwachs geplant wird. Hinter dem Haupthaus, einem ehemaligen Sanatorium, entsteht die neue Kellerei mit Gästehaus, Probierstube und Verkaufsräumen. | Foto: Florian Schwinn

Klimagewinner

Das Weingut Waalem ist wohl ein Gewinner des Klimawandels. Wobei sich Christian Roeloffs nicht so sicher ist, ob das so bleibt. Sein Hof und die meisten Äcker liegen nur fünfzig Zentimeter über NN, also über Normal Null. Das ist die Höhe des mittleren Wasserspiegels der See. Und dieser Wasserspiegel steigt. Im Wattenmeer werden schon seit Jahren die Priele tiefer und die Strömungsgeschwindigkeit bei auf- und ablaufendem Wasser steigt. Es muss einfach bei jeder Flut mehr Wasser zwischen den Inseln und Halligen hindurch.

Ein Teil der Sanddüne, die die Insel Föhr nach Süden schützt, ist schon mit Asphalt überzogen worden. Vor den Nordseeinseln wird nach jedem großen Sturm mit Millionenaufwand Sand aufgespült, auf den Halligen ist damit begonnen worden, die Warften zu erhöhen, die künstlich aufgeworfenen Wohnhügel. Und überall in Schleswig-Holstein werden die Deiche erhöht. Die neuen „Klimadeiche“ sollen die nächsten Jahrzehnte halten, haben aber schon eine geplante Ausbaureserve für die nächste Aufstockung.

So gesehen ist der „Vin de Sable“ aus Föhr dann doch eine teuer erkaufte Anpassung an den Klimawandel. Aber eine, die schmeckt. Und das immer besser, mit jedem Jahr Erfahrung beim Auf- und Ausbau des Weins und dem Altern der Reben, die sich in den Föhrer Sand krallen.


Und wer mehr hören will vom Weinbau auf Föhr: Hier bitteschön geht’s zum Podcast.