Schadensersatz für Glyphosat

Sebastian Seusing kippt im Januar 2020 seinen mit Glyphosat verseuchten Honig vor das Bundeslandwirtschaftsministerium. Links neben ihm Aurelia-Stiftungsvorstand Thomas Radetzky. | Foto: Christian Melber

Zum ersten Mal muss ein Landwirt zahlen für durch ihn verseuchten Honig. Das Landgericht Frankfurt/Oder verurteilte eine Landwirtschaftsgesellschaft in Brandenburg zur Zahlung von Schadensersatz an einen Familienbetrieb von Bio-Imkern. Dessen Bienenvölker standen im April 2019 neben einem Kleeacker, auf dem sich Löwenzahn angesiedelt hatte. Der stand in voller Blüte, als die Feldspritze kam und alle Pflanzen mit Glyphosat totgespritzt wurden.

Zwei Tage dauert es, bis das Totalherbizid die Pflanzen abgetötet hat. In diesen zwei Tagen sammelten die Bienen weiter Pollen und Nektar. Danach war der Honig der 29 Bienenvölker neben dem Acker mit Glyphosat verseucht. Das beauftragte Labor stellte fest: Der Grenzwert ist mehr als 150-fach überschritten. Der Honig, das Wachs, die Honigrähmchen – alles Müll.

Klares Urteil

Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: Dr. Sabine Scheiper, Vorsitzende Richterin am Landgericht Frankfurt/Oder, betritt juristisches Neuland, indem sie einen Landwirt haftbar macht für verseuchten Honig. „Ein Wissen, dass Bienen bei schönem Wetter im Frühjahr (…) ausfliegen und Pollen sammeln, kann bei einem verständigen, umsichtigen, vorsichtigen und gewissenhaften Landwirt vorausgesetzt werden“, stellt die Richterin in ihrem Urteil lapidar fest, „desgleichen die Kenntnis, dass Löwenzahnblüten von Bienen beflogen werden.“

Gerichtsurteile bestehen oft aus einer Ansammlung von banal anmutenden Feststellungen; so auch hier. Am Waldrand ein Acker mit einem vorjährigen Bewuchs von Klee, inzwischen eher eine Wildblumenwiese. Daneben am Wegesrand eine Reihe von fast neunzig Bienenbeuten. Die stehen dort unübersehbar seit fast einem Jahr. Nun soll der Acker mit Mais bestellt werden.

Man könnte jetzt die Luzerne samt blühendem Löwenzahn abmähen und als Viehfutter wegfahren. Man könnte den alten Pflanzenbestand weghäckseln, oder den Wildblumen wenigstens die Blüten abschlegeln. Die von niederländischen Investoren geführte Landwirtschaftsgesellschaft im brandenburgischen Landkreis Barnim entscheidet sich aber für die direkte Anwendung von Glyphosat, und damit für das Verseuchen von Honig. So einfach ist das. Und so klar dann auch das Urteil der Richterin: Schadensersatz, vollumfänglich.

Sebastian und Camille Seusing mit ihrem Anwalt Georg Buchholz vor dem Gericht in Frankfurt/Oder, in dem zum ersten Mal Imker Recht bekamen gegen Landwirte, die ihren Honig verseuchten. | Foto: Aurelia Stiftung

Richtungsweisendes Signal

Die Bienenstiftung Aurelia, die die Imkerei Seusing aus Brandenburg beim Prozess begleitet und unterstützt hat, „begrüßt das Urteil als richtungsweisendes Signal für die Landwirtschaft und Politik. Bisher blieben Imkereien auf den fremdverursachten Schäden sitzen, wenn ihr Honig durch Pestizide aus der Landwirtschaft belastet ist.“ So steht es in der Pressemitteilung.

Frage an den Aurelia-Vorstand Thomas Radetzky: Warum war das bislang so, dass die Imker nicht entschädigt wurden? „Weil die Imker nachweisen müssen, welcher Landwirt genau für die Belastung des Honigs verantwortlich ist. Bienen fliegen mehrere Kilometer weit. Deshalb ist der Nachweis der exakten Verantwortung schwer.“ Und deshalb hat die Imkerei Seusing auch nur in dem ganz eindeutigen Fall Schadensersatz eingeklagt, in dem die Bienenvölker direkt neben dem totgespritzten Acker standen. Auch der Honig von weiter entfernt positionierten Bienenvölkern der Imkerei war belastet und musste entsorgt werden. Der Schaden betrug eigentlich 80.000 Euro, die Klage bezog sich aber nur auf knapp 15.000.

Wenn es so schwierig ist, den Verursachern die Tat konkret nachzuweisen, weshalb sollte dann dieses Urteil ein „richtungsweisendes Signal“ sein? „Ich denke, dass es dazu führt, dass Landwirte vorsichtiger sind“, sagt Thomas Radetzky: „Das ist ja schon mal ein großer Erfolg! Zum grundlegenden Umdenken gibt es ohnehin genügend Anlass, aber dazu wird es wohl nicht kommen. Wir rechnen allerdings mit etwas weniger Glyphosat-Problemen im Honig.“

Und was wäre etwas weniger? Wissen wir eigentlich, wie groß das Glyphosat-Problem im Honig ist? „Nicht wirklich“, sagt der Aurelia-Vorstand. Für Brandenburg kennt er Zahlen: Da lagen bei landesweiten Probenahmen 2,8 Prozent des Honigs über dem Grenzwert von 0,1 Milligramm pro Kilo. In Niedersachsen waren es 3,1 Prozent der Proben. „Wenn wir von bundesweit drei Prozent Honig mit Grenzwertüberschreitung ausgehen, dann wären das 750.000 Kilo.“ Wobei es hier nur um Glyphosat geht und andere Pestizide noch gar nicht in der Rechnung sind.

Spritzverbot für Blüten

Jetzt spritzen gegen den Rapsglanzkäfer? Wer das so entscheidet, spritzt auch gegen die Honigbienen und die fast sechshundert Arten von Wildbienen in Deutschland. | Foto: Frauke Riether / Pixabay

Bevor wir jetzt jedes Honigglas ins Labor schicken und für viel Geld überprüfen lassen, ob die Grenzwerte eingehalten werden: Gäbe es nicht eine andere Möglichkeit, den Honig freizuhalten von Pestiziden? „Eine ganz einfache Möglichkeit“, sagt Thomas Radetzky, „wäre das Verbot des Spritzens blühender Pflanzen.“ Das Landesamt für ländliche Entwicklung LELF des Landes Brandenburg schreibt in seinen Pflanzenschutzinformationen seit Jahren: „Zur Vermeidung von Rückständen im Honig sollte auch der Einsatz glyphosathaltiger Herbizide auf blühende Pflanzen unterbleiben“. Die jetzt zu Schadensersatz verurteilte Landwirtschaftsgesellschaft hat das nicht interessiert.

Deshalb die Forderung nach einem Verbot: „Wir haben verschiedene Pestizide, die in blühenden Pflanzenbeständen eingesetzt werden. Darunter auch solche, die als bienengefährlich gelten. Selbst wenn die Bienen daran nicht direkt sterben, hat man am Ende die Rückstände im Honig.“ Als Beispiel nennt Thomas Radetzky Acetamiprid im Raps-Honig. Der Wirkstoff ist ein Insektizid aus der Stoffgruppe der Neonikotinoide. Gespritzt wird es unter anderem gegen den Rapsglanzkäfer, und das kann auch in der Blütezeit des Rapses geschehen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat 2013 die zulässige Tagesdosis von Acetamiprid für Menschen auf 0,025 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht verringert. Drei Jahre später hat dann dieselbe Behörde die Grenzwerte für bestimmte Lebensmittel erhöht. Bei Tomaten zum Beispiel von 0,2 Milligramm pro Kilo auf 0,5 mg/kg, bei Weizen von 0,03 auf 0,1 mg/kg. Aber keine Sorge, die allfällige Philippika gegen die EFSA bleibt hier und heute mal aus, obwohl zu dieser Behörde einiges zu sagen wäre.

Grenzwerte schützen vielleicht uns Menschen, wenn wir daran glauben wollen, dass Belastungen immer einzeln sind und es keine Wechselwirkungen verschiedener Gifte gibt. Die Bienen können sich mit Glauben nicht schützen. | Foto: Rostichep / Pixabay

Pestizide überall

Neonikotinoide wie Acetamiprid sind auch das Beispiel, dass sich Prof. Edward Mitchell von der schweizerischen Universität Neuchâtel mi Kolleginnen und Kollegen vorgenommen hat, um die weltweite Belastung von Honig mit Pestiziden zu untersuchen. Die 2017 im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass auch Honigproben aus entlegenen Regionen mit Neonikotinoiden belastet sind. Nicht so, dass sie für den menschlichen Verzehr nicht mehr freigegeben würden, aber so, dass sie Bienen schädigen. Für die Bienen müsste der Grenzwert nicht im Milligramm-Bereich liegen, sondern unter 0,1 Mikrogramm. Besser bei null, wenn langfristige subletale Folgen vermieden werden sollen, wie sie schon 2014 eine Forschergruppe um den Neurobiologen Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin feststellte.

Auf die Frage, ob es heute überhaupt noch möglich sei, sicher unbelasteten Honig zu produzieren, zum Beispiel als biologisch arbeitender Imker, antwortet Edward Mitchell: „Der biologische Bienenhalter müsste seinen Bienenstock in eine ausschließlich biologisch bewirtschaftete Landschaft stellen. Aber wo findet man heute solche Orte? Mein Berufskollege und Koautor der Studie, Alexandre Aebi, hat seine Völker in einer Lichtung oberhalb von Neuenburg. Es ist eine sehr ländliche Gegend: Nebenan befindet sich im Aktionsradius der Bienen ein einziger Hof, der biologisch wirtschaftet. Der Honig seiner Bienen enthält aber drei Neonikotinoide!“

Und auf die Frage, woher diese Gifte im Honig wohl kommen könnten, sagt Edward Mitchell: „Sehr wahrscheinlich aus Gärten. Die Gärtnereien verkaufen Blumen voller Pestizide. Die Gesetzgebung erlaubt dies. Die Leute verschönern damit ihre Gärten und denken vielleicht sogar, etwas Gutes für die Bienen zu tun. In Wahrheit vergiften sie sie. Auch die Gemüsegärten sind Pestizidgruben: Manche Gärtner spritzen dreimal mehr als nötig.“ Das ganze Interview gibt’s in dem Buch „Das Gift und wir“. Vorsicht, ich bin da befangen, ich habe das Buch lektoriert.

Als die Aurelia-Stiftung sich bei der EU-Kommission beschwerte, dass die europäischen Behörden nichts gegen die Belastung des Honigs mit Glyphosat unternehmen, antwortete die Kommission: Wenn ein Imker Anlass habe, eine Pestizidbelastung anzunehmen, dann möge er mit seinen Bienen doch bitte den Standort wechseln. Diese Antwort hat Vorstand Thomas Radetzky empört: „Das müssen Sie sich mal vorstellen. Das haben wir schriftlich von der Kommission. Wohin soll der Imker wandern mit seinen Bienen? Es gibt ja praktisch gar keine Standorte mehr, wo Glyphosat nicht angewendet wird.“

Vielleicht ja irgendwann doch wieder, wenn die Nutzung des Totalherbizids in Deutschland „ausgelaufen“ ist, wie das die deutsche Umweltministerin mit ihrem Kollegen im Landwirtschaftsministerium vereinbart hat. Vielleicht werden auch noch einmal ein paar der bienengiftigen Neonikotinoide verboten, wie das in der Europäischen Union 2013 geschehen ist. Was aber auch nicht heißt, dass die Mittel nicht mehr angewendet werden. Verbote umgeht man üblicherweise mit sogenannten „Notfallzulassungen“. Außerdem ist die Industrie sehr fleißig beim Entwickeln neuer Pestizide.

Vielleicht ist für die Bienen und unseren Honig die pragmatischste Notfalllösung dann doch ein rasches Spritzverbot blühender Pflanzen. Das hilft auch den 585 in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten, ohne die unsere Landschaften sehr bald sehr anders aussehen würden.