Untergepflügt: Ist die Agrarwende noch zu retten?

Ab wann wird aus Schönrederei eigentlich Lüge? Wenn die deutsche Landwirtschaftsministerin im Europäischen Rat die Interessen der Agrarlobby durchsetzt und das dann als große Reform verkauft? Ist das noch Lüge oder nur noch dreist, weil ihr ohnehin niemand glaubt?

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Wenn der Deutsche Bauernverband einen Kompromiss lobt, schrillen bei allen die Alarmglocken, die sich Lebensmittel ohne Agrargifte, gesunde Nutztiere und eine intakte Umwelt wünschen. So geschehen vergangene Woche, nachdem die Landwirtschaftsministerinnen der EU und das Europaparlament ihre Marschrouten für die abschließenden Verhandlungen der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ GAP festgelegt hatten. Alle Hoffnungen auf eine Reform der europäischen Agrarsubventionen in Richtung Ressourcenschutz und Tierwohl, Nachhaltigkeit und Klimaschutz scheinen dahin. All die vielversprechenden Zwischenergebnisse der monatelangen Verhandlungen mit zwei abschließenden Federstrichen entsorgt. Alle Forderungen von Agraropposition, Verbraucher- und Umweltverbänden ungehört verhallt. Und die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner spricht von einem „Systemwechsel in der europäischen Agrarpolitik“ und feiert das als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft. Dabei hat eine große Koalition der Unwilligen unter deutscher Führung im Rat der EU-Regierungen einfach nur gesagt: Weiter so! Und dann hat auch noch das Europaparlament eine fast ebenso ambitionslose Vorlage mit einer ganz großen Mehrheit verabschiedet. Was bedeutet, dass am Ende vom „Green Deal“ der EU-Kommission im Bereich Landwirtschaft wohl nichts übrigbleiben wird. Man kann das ganze Agrarsystem auch schön langsam im Ackergang mit dem Trecker an die Wand fahren. Genau das wird geschehen, wenn nicht noch der ganz große Aufschrei ertönt. Wobei der im Corona-Herbst und Winter eher schwierig wird …

So soll es bleiben in der EU: Monokultur statt bilogischer Vielfalt. | Foto: Minka2507 / Pixabay

Der bei der Abstimmung im Parlament unterlegene Sprecher der Europagruppe der Grünen, Sven Giegold, dankte dann auch nur für die Unterstützung, die nicht geholfen hat: „Was am Ende einer solchen Woche bleibt, ist das Vertrauen in die Zivilgesellschaft und der Dank für ihren unermüdlichen Kampf gemeinsam mit vielen fortschrittlichen Bäuerinnen und Bauern für eine zukunftsorientierte, nachhaltige Agrarpolitik.“ Jetzt könne es nur noch der Druck der Zivilgesellschaft in den einzelnen Mitgliedsländern zum Besseren wenden. Die Politik hat versagt. Jetzt sollen mal wieder wir es richten: die Verbraucherinnen.

Und die Verhandlungsführerin der Sozialdemokraten im Agrarausschuss, die bayerische SPD-Abgeordnete Maria Noichl, schreibt auf ihrer Homepage: „Unsere rote Linie, die Agrarpolitik an den Europäischen Green Deal zu binden, wurde gerissen. Eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Nationalkonservativen hat gegen unsere wichtigste Bedingung gestimmt. Deshalb stimmen wir gegen die vorliegenden Vereinbarungen.“ Abgesehen davon, dass Linien eher überschritten als gerissen werden: Wie bitte? Die sozialistisch-sozialdemokratische Fraktion kündigt an, am Ende gegen den Kompromiss zu stimmen, den sie gerade mit einer großen Koalition eben jener hier gescholtenen Konservativen und Neoliberalen zusammen verabschiedet haben. Maria Noichl, eine aufrechte Kämpferin für die Agrarwende, erklärt im Namen ihrer Fraktion einen Unterpunkt der Verhandlungen zur Roten Linie, den die S&D-Fraktion zuvor ohne Not geopfert hatte. Die Sozialdemokraten machen ihre Verhandlungsführerin gerade zur tragischen Figur. „Schizophren“, nennt das Martin Häusling, Biobauer aus Hessen und Europaabgeordneter der Grünen. Die Sozialdemokraten hätten erst die Agrarreform mit auf den Weg bringen wollen, und sie dann preisgegeben. Um dann zu behaupten, so sei es nicht gemeint. „Jetzt müssen sie schon zu dem stehen, was sie beschlossen haben!“ Allerdings, räumt er ein, seien die deutschen Sozialdemokraten in der europäischen S&D-Fraktion seit der letzten Wahl eher marginalisiert. Dort herrschten die konservativen spanischen und italienischen Sozialisten, die mit Agrarwende nichts am Hut hätten.

Das Ende, für das die Sozialisten und Sozialdemokraten nun noch eine Kehrtwende ankündigen, kommt übrigens dann, wenn nach dem jetzt anstehenden „Trilog“ – also den Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament – ein zwischen den drei Institutionen abgestimmtes Ergebnis auf dem Tisch liegt. EU-Politik ist kompliziert. Meistens allerdings nur scheinbar. Man kann sie nämlich recht einfach erklären, wenn man es vermeidet, Einknicken als Reform zu verkaufen und Rote Linien nachträglich zu ziehen.

Was auf dem Tisch liegt

Die Landwirtschaftsministerinnen der EU-Mitgliedsländer haben ihre Position festgelegt. Danach sollen künftig weiterhin 80 Prozent der Agrarsubventionen mit der Gießkanne über die Flächen ausgeschüttet werden. Wer viel Land hat, bekommt viel Subvention. Die Kleinen gehen, gemessen daran, ziemlich leer aus. 20 Prozent des Geldes soll für sogenannte „Eco-Schemes“ aufgewendet werden. Freiwillig. Was ein Rückschritt zu bisherigen Regelungen ist. Was Eco-Schemes eigentlich sind, wird nicht geklärt. Übersetzt heißt Scheme alles Mögliche: Plan, Entwurf, Vorhaben, Modell, Programm, aber auch Intrige, Komplott, Machenschaft. Wer sich sprachlich vage hält, um nichts festzulegen, wird von der Sprache bisweilen entlarvt.

Auf manchem Feld haben sich nach den Plänen des Rats die Dinge auch rückwärts entwickelt: Auf ökologischen Vorrangflächen gibt es kein Pestizidverbot mehr. Die Landwirte können Gift verteilen und es Ökologie nennen.  Feuchtgebiete und Moore sollen erst in fünf Jahren geschützt werden, auch wenn sie schon jetzt unter Schutz stehen. Da dürfte sich der Naturschutz dann noch weniger mit der Landwirtschaft vertragen als jetzt schon.

Das zeigt sich dann auch in dem Beschluss der Umweltministerinnen der EU, die einen Tag nach den Landwirtschaftsministerinnen ihr Votum abgaben. Auch da natürlich eine Deutsche Ratsvorsitzende. Svenja Schulze ist zufrieden, dass der Rat ein Europäisches Klimaschutzgesetz und den Schutz der Biodiversität beschlossen hat: „Die Biodiversitätsstrategie 2030 und eine ökologischere Agrarpolitik sind zentrale Bestandteile des European Green Deals. Der Schutz der Biodiversität hat damit endlich den Stellenwert, den er auch unbedingt haben muss.“ Tatsächlich listen die Umweltministerinnen eine Reihe von Maßnahmen auf, die die Landwirtschaft direkt betreffen. So sollen synthetische Pestizide um 50 Prozent und Düngemittel um 20 Prozent reduziert werden, und mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sollen Bereiche mit großer biologischer Vielfalt aufweisen, ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen sollen ökologisch bewirtschaftet werden. Man kann dem Eindruck erliegen, dass der Rat der Umweltministerinnen eine Art Spielplatz für Träumerinnen ist.

Vom Europaparlament auf den Tisch gelegt wurde gleichzeitig ein Entwurf für die Gemeinsame Agrarpolitik, der fast ebenso weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, die Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrem Amtsantritt durch fulminante Ruckreden entfacht hatte. Danach sollen 30 Prozent der Direktzahlungen für die nicht näher definierten Eco-Schemes reserviert sein und nur auf fünf Prozent sogenannter Ökologischer Vorrangflächen soll die Biodiversität gestärkt werden. Das ist ein Rückschritt, denn es sind derzeit bereits neun Prozent. Die Direktzahlungen für die Fläche sollen pro Betrieb bei 100.000 Euro gedeckelt werden. Das fördert die Großen weiter. Und im Übrigen: Man muss sich das nur mal für einen Handwerksbetrieb mit ein paar wenigen Beschäftigten vorstellen – so wie das bei einem großen Landwirtschaftsbetrieb heute der Fall ist: Es gibt 100.000 Euro vom Staat jährlich, nur weil man da ist! Im Entwurf der Kommission und den vorherigen Verhandlungen im Parlament war die Deckelung immerhin bei 60.000 Euro vorgesehen.

Was zu retten wäre

“Es gibt keinen Green Deal”, wenn es so kommt, wie der Agrarrat der EU will, sagt Martin Häusling. | Foto: Häusling

Der Europaabgeordnete und Biobauer Martin Häusling sieht noch eine Chance für die dringend nötige Agrarwende: Die Kommission müsste sich auf die Hinterbeine stellen. Der groß angekündigte Green Deal der Ursula von der Leyen kann ohne die Landwirtschaft nicht gelingen. Im Gegenteil ist sie ein unverzichtbarer Teil davon. Die Industrielandwirtschaft, derzeit ein Treiber der Klimakatastrophe, könnte durch einen konsequenten Umbau zu bäuerlich nachhaltiger Wirtschaftsweise zum Retter in der Klimakrise werden. Statt Böden mit Kunstdünger auszulaugen, könnte sie durch ökologisches Bodenmanagement Humus aufbauen und damit die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel machen. Die Böden würden wieder eigenständig fruchtbar, auch ohne Kunstdünger, und die CO2-Bilanz könnte schlagartig verbessert werden.

„Das Abstimmungsergebnis im Europaparlament spiegelt nicht die Verhandlungen“, sagt Martin Häusling. In den Verhandlungen sei das Parlament schon einmal viel weiter in Richtung Reform der Subventionspolitik gewesen. Erst am Schluss habe der konservative Teil der sozialistisch-sozialdemokratischen Fraktion die Verhandlungsergebnisse kassiert. Bei den Sozialisten geben eben inzwischen Spanier und Italiener den Ton an, nicht mehr die deutschen Sozialdemokraten.

„Es wird keinen Green Deal geben, wenn die jetzigen Beschlüsse von Rat und Parlament Bestand haben“, sagt Martin Häusling. Auch die Biodiversitätsstrategie der Umweltministerinnen werde nicht funktionieren.  Auf welchen Flächen denn auch: Wo soll das passieren zwischen Siedlungsgebieten und Agrarsteppe? Insofern sei nun die Kommissionspräsidentin gefordert. Wenn Ursula von der Leyen ihren Green Deal durchsetzen will, dann muss sie das jetzt tun.

Wann ist jetzt? Wie lange dauert so ein Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament. Martin Häusling vermutet, dass das nach dem Willen der deutschen Ratspräsidentschaft schnell gehen soll. Bis Dezember werde Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner das wohl eingetütet haben wollen. Denn wann gebe es das schon mal: Deutsche Ratspräsidentschaft, deutsche Kommissionsvorsitzende, deutscher Ausschussvorsitzender. Da könne man Landwirtschaftspolitik „quasi im Hinterzimmer“ verabreden. Zum Wohle der Lobby und gegen die Zukunft.

Es sei denn, die Kommissionsvorsitzende packt doch noch einmal der Ehrgeiz und sie will zeigen, dass sie nicht nur Ankündigung kann. Oder die Verbraucher sagen nochmal deutlich, dass sie Agrarindustrie satt haben …


Jetzt in den Einkaufswagen: Mehr Informationen

Umweltinstitut München. Schwerpunkt Industrielle Landwirtschaft und Pestizide: http://www.umweltinstitut.org/themen/landwirtschaft/landwirtschaft-uebersicht.html

Europäische Bürgerinitiative „Glyphosat stoppen“: https://stopglyphosate.org/de/

Europäische Bürgerinitiative „Save bees and farmers“ via BUND: https://aktion.bund.net/fuer-agrarwende-und-artenvielfalt

Bio-Stiftung Schweiz. Die industrielle Pestizid-Landwirtschaft und wie es ganz ohne synthetische Pestizide geht: https://www.dasgiftundwir.ch/